Donnerstag, 28. April 2011

Aufbruch in den Kosmos

"Ist das nicht eher ein Problem für die Zukunft?" - diese Frage stellen viele Menschen, mit denen man sich über Raumfahrtthemen unterhält. "Sollten wir technische Probleme nicht erst dann in Angriff nehmen, wenn sie sich stellen?" - "Ist es nicht viel zu früh, um über interstellare Raumfahrt nachzudenken?"

Manche fragen auch: "Warum sollten wir überhaupt bemannte Raumfahrt betreiben? Sie ist unnötig teuer und gefährlich und Robotersonden können alles erforschen, was wir wissen wollen."

Stellen wir uns vor, Biologen wollen einen Wald untersuchen. Sie beschränken sich jedoch darauf, ihn aus großer Entfernung mit Teleskopen zu beobachten, und dann und wann ferngelenkte Fahrzeuge mit Kameras und Sensoren hineinzuschicken.

Natürlich würden sie allerlei entdecken. Wenn ihre Teleskope leistungsstark genug sind, würden sie lernen, welche Baum- und sonstigen Pflanzenarten in dem Wald wachsen, sie würden Größe und Wuchsform der Pflanzen beschreiben können und auch einen gewissen Überblick über die verschiedenen Tierarten und ihre Lebensweise erhalten. Wenn die ferngelenkten Fahrzeuge mit empfindlichen Sensoren bestückt sind, könnten sie auch Aufschluß über Insekten, Einzeller und die Chemie des Waldbodens erhalten. Weiterentwickelte Fahrzeuge wären sogar in der Lage, Bohrungen vorzunehmen und geologische Untersuchungen anzustellen.

Aber nun stelle man sich vor, die Biologen würden sich entschließen, den Wald selbst zu betreten, und vor Ort zu forschen. Sie könnten tage- oder wochenlang in dem Wald kampieren, Proben entnehmen und analysieren, den Waldboden Quadratmeter für Quadratmeter nach neuen Spezies absuchen, Gewässer und Bachläufe kartieren, die Abhängigkeit der Wuchsform von Bäumen von den Umgebungsbedingungen untersuchen, die ökologischen Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Arten aufdecken und Veränderungen in Abhängigkeit von Witterung und Jahreszeiten beobachten. Ihr Wissen würde sich im Vergleich zu den Vorgängern, die nur Fernuntersuchungen durchführten, verhundertfachen.

Gleiches gilt für Astrophysik und Raumfahrt. Zweifellos haben Voyager, Pioneer, Galileo, Cassini und all die anderen interplanetaren Sonden unschätzbare Informationen über unser Sonnensystem ans Licht gefördert. Durch sie wissen wir über den Aufbau der Mondsysteme der Gasriesen inzwischen recht gut Bescheid, und die Geologie von Mars und Venus ist uns kein komplettes Rätsel mehr. Doch wenn Wissenschaftler andere Himmelskörper aus der Nähe untersuchen könnten, wären sie in der Lage, Erkenntnisse zu gewinnen, neben den die Ergebnisse der unbemannten Sonden erscheinen würden wie ein einbändiges Kompaktwörterbuch neben der 36-bändigen Brockhaus-Enzyklopädie.

Eine große bemannte Raumstation im Orbit um den Saturn, die dazu noch mit Landefähren bestückt ist, könnte das Saturnsystem quasi auf mikroskopischer Basis detailliert erforschen, super-präzise Karten der Monde anlegen, Bohrungen in den Mondkrusten vornehmen, die Saturnatmosphäre mit zeppelinartigen Eintauchsonden untersuchen und ganze Forschungsprogramme aufstellen, die sich an den neu gewonnen Erkenntnissen orientieren: Die neuen Beobachtungen würden fraglos zur Revision oder Erweiterung akzeptierter Theorien über das Saturnsystem führen, und neue Fragen aufwerfen, zu derer Beantwortung wieder eigene wissenschaftliche Kampagnen entworfen werden müssten.

Es lassen sich auf Anhieb allerlei Fragen finden, die eine solche Dauerstation zu klären helfen könnte: Wann und wie sind die Ringe genau entstanden? Wie ist der "Methankreislauf" auf Titan im Detail beschaffen? Warum sind die Winde in der Saturnatmosphäre so schnell? Enthält Saturn in der Tiefe einen Ozean aus metallischem Wasserstoff? Woher rührt das sechseckige Muster in der Nähe von Saturns Nordpol? Welche Prozesse im solaren Urnebel haben wahrscheinlich zur Bildung der komplizierten Mondsysteme um die Gasriesen geführt?

Die meisten Fragen, die eine bemannte Saturnstation beantworten würde, werden sich jedoch erst stellen, wenn die Station den Betrieb aufgenommen hat. Jedes neue Fenster ins Universum, das die Menschheit aufgestoßen hat, wurde nicht geöffnet, weil man sich sagte: "Wir wollen jetzt ganz genau das und das wissen" - sondern weil man die Möglichkeit gefunden hatte, einen neuartigen Blick auf die Realität zu werfen. Sobald man diesen gewagt hatte, wurde eine Lawine neuer Beobachtungsdaten entfesselt, die zum Umsturz akzeptierter Theorien führte und völlig neuartige Fragen aufwarf, die man bis dahin noch nicht einmal erahnt hatte.

So war es mit Galileos Teleskop, mit Leeuwenhoeks Mikroskop, mit dem Radio-, Röntgen- und Gammaspektrum, Teilchenbeschleunigern, Computersimulationen, Raumsonden, Neutrinodetektoren (letztere führten zum Beispiel zu der völlig unerwarteten Frage, warum ein Teil der solaren Neutrinos "fehlt", und dadurch zur Entdeckung der Neutrinoruhemasse)  - und so wird es auch mit dem LHC, dem Gravitationswellenspektrum, Weltrauminterferometern und der bemannten Erforschung der Himmelskörper vor Ort sein.

Wissensdurst ist wahrscheinlich eine der wichtigsten Triebkräfte der Menschheit. Es gibt jedoch noch andere, deren grundlegendste vielleicht die Sicherung des Überlebens ist. Dafür wird die Raumfahrt in Zukunft entscheidend werden.

Sehen wir den Dingen ins Auge: Die Erde ist auf Dauer kein allzu sicherer Wohnort! Killer-Asteroide, Supervulkanismus, beträchtliche (nicht-anthropogene) Klimaschwankungen und Gamma-Ray-Bursts sind nur einige von vielen Arten, wie die Natur den Fortbestand unserer Spezies gefährden könnte. Wenn wir gewährleisten wollen, dass es noch in vielen Jahrtausenden Menschen gibt, sollten wir also darauf achten, dass "Backup-Kopien" unserer Zivilisation existieren - Kolonien im All, in denen die Menschheit weiter existiert, selbst wenn es auf der Erde zu einer Katastrophe kommen sollte. Zunächst könnten dies rotierende O'Neill-Raumstationen sein oder "eingegrabene" Siedlungen auf Asteroiden, später Niederlassungen auf Planeten und Monden und noch später neue Zivilisationskeime auf lebensfreundlichen Exoplaneten.


Eine torusförmige O'Neill-Kolonie (Quelle: NASA)


Aber nicht nur der zukünftige Fortbestand unserer Spezies, auch zur Lösung von Problemen, die sich augenblicklich auf der Erde abzeichnen, könnte die Raumfahrt einen wichtigen Beitrag leisten. Viele Rohstoffe, die demnächst auf der Erde knapp werden könnten (Spektrum direkt - Die Rohstoffkrisen der Zukunft), sind nämlich in großer Menge in erdnahen Asteroiden enthalten. Insbesondere bezüglich Gallium, das als Dotierungselement für Solarzellen relevant ist, wird es aller Wahrscheinlichkeit nach schon gegen Mitte des 21. Jahrhunderts zu Engpässen kommen. Asteroide stellen jedoch ein regelrechtes Rohstoff-Schlaraffenland dar. Die Entwicklung des Bergbaus auf diesen Kleinkörpern könnte daher demnächst hohe Priorität erhalten.

Und Solarkraftwerke im Erdorbit - oder eventuell an Lagrangepunkten - werden einen wichtigen Beitrag zur Versorgung der Menschheit mit sauberer, unbegrenzter Energie leisten: Unbeeinträchtigt von Witterung, Jahreszeiten, Tag- und Nachtrythmus und atmosphärischer Absorption könnten sie mit Mikrowellenstrahlen Energie zur Erde schicken. Die Mikrowellenbündel werden dabei natürlich so weit aufgefächert, dass man auch dann keinen Schaden erleidet, wenn man mitten im Strahl steht.


Die japanische Weltraumbehörde JAXA möchte 
bis 2030 ein orbitales Solarkraftwerk mit einer Leistung 
von 1 GW installieren.


So nützlich Aktivitäten in der näheren kosmischen Umgebung der Erde auch sein werden - Hoch- und Fernziel für die Menschheit wird sein, ein Raumschiff zu einem erdähnlichen Exoplaneten zu schicken. Die hierfür nötige Technologie (bzw. Technologie, die es erlaubt, solche Missionen innerhalb halbwegs überschaubarer Zeiträume durchzuführen) liegt zwar noch in weiter Ferne - ein nicht unbeträchtlicher Anteil der Physiker geht jedoch davon aus, dass dies möglich sein wird, sobald wir in der Lage sind, Energien in entsprechenden Größenordnungen zu handhaben. Die British Interplanetary Society entwarf schon in den 1960ern ein zweistufiges Raumschiff, dass mittels eines gepulsten Kernfusionsantriebs bis zu 12% der Lichtgeschwindigkeit erreichen kann. Ein 1 km breiter Gürtel von Solarzellen rund um den Mond würde in etwa soviel Leistung liefern, wie die Menschheit momentan verbraucht. Selbstreplizierende Roboter könnten so einen Gürtel anlegen - und noch einen zweiten, dritten... etc. daneben setzen! Die zur Verfügung stehende Energie ließe sich Antimateriefabriken zuführen: dies ist der bekannter Physik zufolge stärkstmögliche Raketentreibstoff überhaupt.


Konzept einer Antimaterierakete (NASA)


Und was Warpantriebe, Hyperraum, Sterntore u. ä. angeht - wie hieß der "inoffizielle" James-Bond-Film noch mal so schön? Sag niemals nie!

Die Realisierung eines so gigantischen Projektes wie ein interstellares Schiff es darstellt wird die konzertierten Anstrengungen von Wissenschaftlern und Ingenieuren auf der ganzen Welt über mehrere Generationen in Anspruch nehmen. Das wird nicht nur Physik und Technologie einen ungeheuren Auftrieb geben - man denke daran, welcher Nutzen sich allein aus Beherrschung der Kernfusion ziehen ließe - es wird die Menschheit auch zusammenschweißen! Angesichts der ultimativen Herausforderung, die der Kosmos uns stellt, verblassen alle kleinlichen nationalen, ökonomischen und sonstigen Streitigkeiten, die uns heutzutage noch dazu verleiten, uns gegenseitig das Leben schwer zu machen (man ist versucht, von "Kinderkrankheiten" unserer Zivilisation zu reden). Was sind unsere archaischen, von Angst und Mißtrauen geprägten Konflikte gegen die Möglichkeit, sich zur raumfahrenden Spezies in der Galaxis zu entwickeln!

Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Wir erleben gerade die Morgendämmerung des Raumfahrtzeitalters. In einigen Jahrhunderten werden die Menschen möglicherweise auf unsere Zeit zurückschauen wie die Menschen der Renaissance auf das finstere Mittelalter. Doch wir müssen beginnen, uns in diese Richtung zu bewegen. Noch nie wurde irgendein Fortschritt erzielt, indem man wissenschaftliche Problemstellungen als "Angelegenheit für die Zukunft" ansah, um die man sich vorläufig nicht zu kümmern brauche. Die Zukunft wird nicht von alleine zu uns kommen. Aber durch kreative Arbeit, durch Grundlagenforschung und Entwicklung neuer Technologien, können wir uns auf den Weg zu ihr machen. Damit sollten wir schon heute beginnen.


The sky calls to us. If we do not destroy ourselves, 
we will one day venture to the stars. (Carl Sagan)



Web-Tip:

Tau Zero Foundation - eine Nonprofitorganisation, die Möglichkeiten der interstellaren Raumfahrt auslotet. 

24 Kommentare:

  1. Sehr geehrter Herr "Neil Brainstrong"!
    Ich bitte sie hiermit das Bild des Solarkraftwerkes im Erdorbit benutzen zu dürfen. Ich würde es für ein Projekt über regenerativ Energien verwenden. Dieses würde eventuell auf die Schulhomepage gestellt werden.
    Ich freue mich auf eine Antwort.
    Nuria Glasauer

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