Samstag, 30. April 2011

Der Staat ist keine Erziehungsanstalt

"Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein", befand Guido Westerwelle im Februar 2010 in der Zeitung "Die Welt". Mich stören an diesem Zitat drei Dinge:

-- Der Begriff "das Volk". Wenn wir mal davon absehen, dass er nicht mehr zeitgemäß wirkt - der neutralere Begriff "Bevölkerung" wäre angemessener - erscheint es vor allem befremdlich, dass Westerwelle sich offensichtlich als vom "Volk" getrennt betrachtet: Hier Politiker - dort Volk. Die Regierung ist jedoch keine vom Rest des Landes losgekoppelte Entität. Politiker sind Bürger, genauso wie alle anderen.

-- Die Tatsache, dass er anscheinend der Ansicht ist, diese "abgetrennte" Regierung sei dazu da, die Staatsbürger zu einer Mentalität der Leistungsbereitschaft zu erziehen.

-- Dass er anstrengungslosen Wohlstand mit Dekadenz gleichsetzt.

Ich möchte mich im Augenblick auf den zweiten Punkt konzentrieren. Einer weit verbreiteten Auffassung zufolge soll der Staat anscheinend bis zu gewissem Grade die Funktion einer moralischen Anstalt übernehmen. In dieser Hinsicht ähnelt der Neoliberalismus der Gegenwart den sozialistischen Ostblockstaaten der Vergangenheit. Beide betrachten die Bevölkerung als eine Art formbare Masse, die vom Regiment der Regierung in eine sozial verträgliche Form geknetet werden muss.

In den Ostblockstaaten war vom "sozialistischen Menschen" die Rede. Die Idee war, dass durch staatliche Erziehungsmaßnahmen - die von den Jungpionieren über die FDJ bis zu verpflichtenden Marxismus-Leninismus-Vorlesungen an den Universitäten und einer mehr oder weniger reglementierten "sozialistischen Kultur" reichten - die Menschen zu glücklichen Mitgliedern eines sozialistischen Staates erzogen werden sollten, die ihr Leben der "gemeinsamen Sache" widmen. Die Betonung liegt allerdings auf glückliche Mitglieder. Der Marxismus geht davon aus, dass die Menschen eigentlich innerlich bereits Kommunisten sind - zuweilen ist sogar vom "Urkommunismus" die Rede, der angeblich herrschte, bevor die Produktionsmittel privatisiert und Kapital angehäuft wurde. Wenn der Staat die Bürger nun so formt, dass die kommunistische Natur herauskommt, werden sie sich dieser Auffassung zufolge befreit und glücklich fühlen. Der Marxismus geht in dieser Hinsicht von einem - zumindest von kommunistischer Warte aus gesehen - optimistischen Menschenbild aus. Interessant ist übrigens, dass besonders glühende Anhänger eines optimistischen Menschenbildes zu außerordentlicher Grausamkeit fähig sind, wenn die so hoffnungsvoll betrachteten Menschen irgendetwas tun, was diesem Bild nicht zu entsprechen scheint.

Der Neoliberalismus vertritt dagegen ein negatives Menschenbild. Die Menschen werden als von Natur aus faul und unsozial betrachtet, und Aufgabe des Staates soll die Erziehung der Bürger zum Fleiß sein - da sie größtenteils nicht freiwillig arbeiten, soll dies durch Sanktionen erzwungen werden: Struwwelpeter-Politik. Hinter Hartz IV steckt eine Art "Zuckerbrot-und-Peitsche"-Denken, wobei der Peitsche weitaus mehr Platz gegeben wird. In den extremeren Formen des Neoliberalismus schwingt sogar eine auffallend unangenehme Form des "Klassenbewusstseins von Oben" mit: Unternehmer sollen besonders viele Freiheiten eingeräumt bekommen - auch hinsichtlich Umwelt- und Arbeitsschutz - Arbeitnehmer sollen dagegen hart an die Kandare genommen werden, damit sie ja nicht auf den Gedanken kommen, zuwenig zu arbeiten oder Leistungen zu beziehen, die ihnen vielleicht nicht zustehen. Anscheinend sind nach dieser Auffassung nicht nur Politiker die Gouvernanten der Bevölkerung - die Oberschicht ist auch noch wesentlich weniger erziehungsbedürftig als die Mittel- oder Unterschicht.

Ich möchte die Frage nach der Natur des Menschen mal hintanstellen. Meiner Meinung nach ist es sowieso problematisch, von einer "menschlichen Natur" zu sprechen: Menschen sind charakterlich viel zu unterschiedlich, als dass man ihnen eine einheitliche Natur zuschreiben könnte. Was ich vielmehr in Frage stellen möchte, ist die ganze Idee, dass der Staat die Bürger erziehen sollte. Er hat natürlich die Aufgabe, darauf zu achten, dass sie sich an die Gesetze halten. Aber er ist nicht dazu da, uns in irgendeiner Weise zu formen, umzuerziehen oder moralisch aufzubauen. Das mag nach Aristoteles' Auffassung die Rolle des Theaters sein. Aber es ist nicht die Rolle der Regierung. Die Politiker sind Bürger, genauso wie alle anderen Menschen. Und Erwachsene haben es nicht nötig, sich von anderen Erwachsenen moralisch erziehen zu lassen. Wir leben schließlich nicht in einem Kindergarten.

Donnerstag, 28. April 2011

Warum ich Atheist bin

Es ist einige Jahre her, dass ich ein gewisses Interesse am katholischen Glauben verspürte. Das lag daran, dass ich mich - mehr oder weniger neugierdehalber - einige Male mit der katholischen Studentengemeinde (KSG) Jena getroffen hatte, und mir die Atmosphäre dort irgendwie gefiel. Sie strahlte eine Ruhe und Herzlichkeit aus, die etwas Anziehendes hatte. Ich machte einige Unternehmungen und Ausflüge der KSG mit. Vor allem die Art der katholischen Studenten, miteinander umzugehen, gefiel mir: Sie war von Höflichkeit und gegenseitiger Rücksichtnahme geprägt, was mir im zwischenmenschlichen Umgang sehr wichtig ist.

Ich begann darüber nachzudenken, ob nicht der katholische Glaube etwas für mich sein könnte. Ich war zwar protestantisch getauft worden, aber bislang nie an irgendwelchen christlichen Aktivitäten beteiligt gewesen. Vielleicht sollte ich es mal mit Jahve versuchen.

Ein Student aus der KSG sagte mir, an einem Abend in Erfurt sei in einer dortigen Kirche eine sogenannte "Nightfever-Veranstaltung", bei der man beten und mit dem Pfarrer reden könne. Dort ging ich hin, und erzählte dem Geistlichen, dass ich gerne dem katholischen Glauben beitreten würde. Der gute Mann war natürlich hellauf begeistert. Er erklärte, die Menschheit habe sich früher einmal von Gott losgesagt, und verspüre seitdem den Wunsch, zu ihm zurückzukehren. Alle Religionen der Welt seien diesbezügliche Versuche, aber nur mit dem Christentum (ich erinnere mich nicht, ob er das auf das katholische Christentum präzisierte) sei eine vollständige Rückkehr zu Gott möglich.

Muss ich erwähnen, dass ich mein Großhirn auf Standby schalten musste, um diese Geschichte zu schlucken?

Schließlich drückte mir der Pfarrer eine Broschüre über den christlichen Glauben in die Hand und riet mir, einen Glaubenskurs mitzumachen. Mit gemischten Gefühlen ging ich von dannen.

Auf dem erfurter Bahnhof las ich mir die Broschüre durch. Die eine Hälfte meines Gehirns grübelte, ob das Traktat für Kleinkinder oder für Erwachsene mit zweistelligem Intelligenzkoeffizienten geschrieben worden sei. Die andere versuchte, sich einen Reim darauf zu machen. Da stand, ohne Gott sei das Leben völlig sinnlos. Mein bisheriges Leben erschien mir jedoch alles andere als sinnlos gewesen zu sein! Es wurde erwähnt, der reichste Mann der Welt habe sich erst glücklich gefühlt, nachdem er Gott gefunden habe. Nun ja, Geld ist wohl nun wirklich nicht alles. Aber benötigt man, um einen Sinn im Leben zu finden, denn unbedingt Gott? Was ist mit den Buddhisten? Sehen die keinen Sinn im Leben? Was ist mit Goethe, der als Pantheist Gott in allem zu erkennen glaubte, und daher wohl auch nicht dem "persönlichen" Gott der Christen anhing? Bestimmt sah Goethe einen Sinn im Leben. Einstein wiederholte öfters, dass er sehr weit davon entfernt sei, an einen persönlichen Gott zu glauben, und er hielt sein Leben bestimmt nicht für sinnlos. Überhaupt, es gab doch genug Atheisten, die ihr Dasein in vollen Zügen genossen! Wie konnten Christen sich zu der Vorstellung versteigen, allein ihr Gott sei sinnstiftend, und alle anderen Ansichten hinterließen ein "Loch in der Seele". (In der Broschüre war eine "tolle" Zeichnung enthalten, die das bildlich darstellte.)

Als ich in den Regionalzug nach Jena einstieg, warf ich einen Blick aus dem Fenster. Gerade ging der Vollmond auf. Groß und rot stand er dicht über dem Osthorizont. Da draußen - der Trabant der Erde. Der fernste Ort, den Menschen je erreicht haben. Und dahinter fängt der Kosmos erst an... der Kosmos, den wir mit unserem Verstand begreifen können! Der Kosmos, die Himmelskörper, Sterne, Planeten, Monde - das war doch etwas Großartiges! Etwas viel Großartigeres, als ein Mann, der sterben musste, weil der erste Mensch Appetit auf einen Apfel verspürt hatte. Und vor allem: Das Universum existiert wirklich! Adam und Eva hat es jedoch nie gegeben. Es gab keinen ersten Menschen, nur affenartige Vorformen, aus denen sich der moderne Mensch durch Naturprozesse entwickelt hat.

Jahve, der alte, sauertöpfische Gott der Bibel, war eine banale Erfindung, ein Schauermärchen für Kinder... die Tatsache, dass wir die Naturgesetze durch Forschen und Denken entschlüsseln können, das ist das wirklich Wunderbare! Das ist das, was das "existentielle Loch in der Seele" auszufüllen vermag!

Die christliche Broschüre wanderte in einen Papierkorb.

Den Glaubenskurs habe sogar noch besucht, wenn auch eher aus kulturhistorischem als aus religiösem Interesse. Ich verlor die Lust daran, als der Kaplan, der den Kurs leitete, mir auf die Frage, ob man sich den Sündenfall als historisches Ereignis zu denken habe und wann das gewesen sein solle, keine vernünftige Antwort zu geben vermochte. Außerdem fing ich zu dieser Zeit mit einem Tanzkurs an, der am gleichen Abend wie der Glaubenskurs stattfand, und da wußte ich sofort, welcher Veranstaltung ich den Vorzug geben sollte.

Was die KSG'ler anbelangt - ich mag sie immer noch, als Menschen. An ihrem Glauben habe ich keinerlei Interesse, und das wissen sie und akzeptieren es auch.

Inhaltlich stimme ich Richard Dawkins zu: Als Erwachsener einen unsichtbaren Freund zu haben ist außerordentlich bizarr. Und wenn man sich von diesem unsichtbaren Freund dazu verleiten lässt, den Menschen in der dritten Welt zu erzählen, sie kämen in die Hölle, wenn sie Kondome verwenden, das ist fast schon kriminell. Dawkins Vorgehensweise gegen die Religionen halte ich jedoch für undurchdacht. Den Christen andauernd vorzuhalten, wie absurd, rückständig und sozial schädlich ihr Glauben sei, wird sie ganz sicher nicht dazu bringen, sich einer rationaleren Auffassung anzuschließen. Auch könnten solche Aussagen sehr verletzend für sie sein. Daher sollten wir Atheisten lieber mit positivem Beispiel vorangehen! Wir sollten durch unser eigenes Leben zeigen, dass man "gottlos glücklich" sein kann, dass man keinen unsichtbaren Freund benötigt, um ein erfülltes, fröhliches und moralisches Leben zu führen. Wenn die Christen das sehen, werden sie zumindest merken, dass ihre Religion nicht das non plus ultra ist.

Und schließlich ist es auch kein guter Einfall, die Menschen um jeden Preis zum Atheismus "bekehren" zu wollen. Christen können schließlich, wie schon gesagt, nette, vernünftige Menschen sein. Wenn sie unbedingt an ihren nichtexistenten Übervater glauben wollen - man kann es ihnen nicht nehmen.

Auf einem ganz anderen Blatt stehen natürlich Mißbrauchsfälle in katholischen Internaten, die Anti-Verhütungs-Propaganda des Vatikans, die Auffassung, eine befruchtete Zygote sei moralisch mit einem fertig entwickelten Menschen gleichzusetzen, sowie Personen, die fordern, der christliche Schöpfungsmythos sei als "wissenschaftliche Theorie" an den Schulen zu lehren. Gegen diese Mißstände und Absurditäten muß aktiv vorgegangen werden!

Aufbruch in den Kosmos

"Ist das nicht eher ein Problem für die Zukunft?" - diese Frage stellen viele Menschen, mit denen man sich über Raumfahrtthemen unterhält. "Sollten wir technische Probleme nicht erst dann in Angriff nehmen, wenn sie sich stellen?" - "Ist es nicht viel zu früh, um über interstellare Raumfahrt nachzudenken?"

Manche fragen auch: "Warum sollten wir überhaupt bemannte Raumfahrt betreiben? Sie ist unnötig teuer und gefährlich und Robotersonden können alles erforschen, was wir wissen wollen."

Stellen wir uns vor, Biologen wollen einen Wald untersuchen. Sie beschränken sich jedoch darauf, ihn aus großer Entfernung mit Teleskopen zu beobachten, und dann und wann ferngelenkte Fahrzeuge mit Kameras und Sensoren hineinzuschicken.

Natürlich würden sie allerlei entdecken. Wenn ihre Teleskope leistungsstark genug sind, würden sie lernen, welche Baum- und sonstigen Pflanzenarten in dem Wald wachsen, sie würden Größe und Wuchsform der Pflanzen beschreiben können und auch einen gewissen Überblick über die verschiedenen Tierarten und ihre Lebensweise erhalten. Wenn die ferngelenkten Fahrzeuge mit empfindlichen Sensoren bestückt sind, könnten sie auch Aufschluß über Insekten, Einzeller und die Chemie des Waldbodens erhalten. Weiterentwickelte Fahrzeuge wären sogar in der Lage, Bohrungen vorzunehmen und geologische Untersuchungen anzustellen.

Aber nun stelle man sich vor, die Biologen würden sich entschließen, den Wald selbst zu betreten, und vor Ort zu forschen. Sie könnten tage- oder wochenlang in dem Wald kampieren, Proben entnehmen und analysieren, den Waldboden Quadratmeter für Quadratmeter nach neuen Spezies absuchen, Gewässer und Bachläufe kartieren, die Abhängigkeit der Wuchsform von Bäumen von den Umgebungsbedingungen untersuchen, die ökologischen Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Arten aufdecken und Veränderungen in Abhängigkeit von Witterung und Jahreszeiten beobachten. Ihr Wissen würde sich im Vergleich zu den Vorgängern, die nur Fernuntersuchungen durchführten, verhundertfachen.

Gleiches gilt für Astrophysik und Raumfahrt. Zweifellos haben Voyager, Pioneer, Galileo, Cassini und all die anderen interplanetaren Sonden unschätzbare Informationen über unser Sonnensystem ans Licht gefördert. Durch sie wissen wir über den Aufbau der Mondsysteme der Gasriesen inzwischen recht gut Bescheid, und die Geologie von Mars und Venus ist uns kein komplettes Rätsel mehr. Doch wenn Wissenschaftler andere Himmelskörper aus der Nähe untersuchen könnten, wären sie in der Lage, Erkenntnisse zu gewinnen, neben den die Ergebnisse der unbemannten Sonden erscheinen würden wie ein einbändiges Kompaktwörterbuch neben der 36-bändigen Brockhaus-Enzyklopädie.

Eine große bemannte Raumstation im Orbit um den Saturn, die dazu noch mit Landefähren bestückt ist, könnte das Saturnsystem quasi auf mikroskopischer Basis detailliert erforschen, super-präzise Karten der Monde anlegen, Bohrungen in den Mondkrusten vornehmen, die Saturnatmosphäre mit zeppelinartigen Eintauchsonden untersuchen und ganze Forschungsprogramme aufstellen, die sich an den neu gewonnen Erkenntnissen orientieren: Die neuen Beobachtungen würden fraglos zur Revision oder Erweiterung akzeptierter Theorien über das Saturnsystem führen, und neue Fragen aufwerfen, zu derer Beantwortung wieder eigene wissenschaftliche Kampagnen entworfen werden müssten.

Es lassen sich auf Anhieb allerlei Fragen finden, die eine solche Dauerstation zu klären helfen könnte: Wann und wie sind die Ringe genau entstanden? Wie ist der "Methankreislauf" auf Titan im Detail beschaffen? Warum sind die Winde in der Saturnatmosphäre so schnell? Enthält Saturn in der Tiefe einen Ozean aus metallischem Wasserstoff? Woher rührt das sechseckige Muster in der Nähe von Saturns Nordpol? Welche Prozesse im solaren Urnebel haben wahrscheinlich zur Bildung der komplizierten Mondsysteme um die Gasriesen geführt?

Die meisten Fragen, die eine bemannte Saturnstation beantworten würde, werden sich jedoch erst stellen, wenn die Station den Betrieb aufgenommen hat. Jedes neue Fenster ins Universum, das die Menschheit aufgestoßen hat, wurde nicht geöffnet, weil man sich sagte: "Wir wollen jetzt ganz genau das und das wissen" - sondern weil man die Möglichkeit gefunden hatte, einen neuartigen Blick auf die Realität zu werfen. Sobald man diesen gewagt hatte, wurde eine Lawine neuer Beobachtungsdaten entfesselt, die zum Umsturz akzeptierter Theorien führte und völlig neuartige Fragen aufwarf, die man bis dahin noch nicht einmal erahnt hatte.

So war es mit Galileos Teleskop, mit Leeuwenhoeks Mikroskop, mit dem Radio-, Röntgen- und Gammaspektrum, Teilchenbeschleunigern, Computersimulationen, Raumsonden, Neutrinodetektoren (letztere führten zum Beispiel zu der völlig unerwarteten Frage, warum ein Teil der solaren Neutrinos "fehlt", und dadurch zur Entdeckung der Neutrinoruhemasse)  - und so wird es auch mit dem LHC, dem Gravitationswellenspektrum, Weltrauminterferometern und der bemannten Erforschung der Himmelskörper vor Ort sein.

Wissensdurst ist wahrscheinlich eine der wichtigsten Triebkräfte der Menschheit. Es gibt jedoch noch andere, deren grundlegendste vielleicht die Sicherung des Überlebens ist. Dafür wird die Raumfahrt in Zukunft entscheidend werden.

Sehen wir den Dingen ins Auge: Die Erde ist auf Dauer kein allzu sicherer Wohnort! Killer-Asteroide, Supervulkanismus, beträchtliche (nicht-anthropogene) Klimaschwankungen und Gamma-Ray-Bursts sind nur einige von vielen Arten, wie die Natur den Fortbestand unserer Spezies gefährden könnte. Wenn wir gewährleisten wollen, dass es noch in vielen Jahrtausenden Menschen gibt, sollten wir also darauf achten, dass "Backup-Kopien" unserer Zivilisation existieren - Kolonien im All, in denen die Menschheit weiter existiert, selbst wenn es auf der Erde zu einer Katastrophe kommen sollte. Zunächst könnten dies rotierende O'Neill-Raumstationen sein oder "eingegrabene" Siedlungen auf Asteroiden, später Niederlassungen auf Planeten und Monden und noch später neue Zivilisationskeime auf lebensfreundlichen Exoplaneten.


Eine torusförmige O'Neill-Kolonie (Quelle: NASA)


Aber nicht nur der zukünftige Fortbestand unserer Spezies, auch zur Lösung von Problemen, die sich augenblicklich auf der Erde abzeichnen, könnte die Raumfahrt einen wichtigen Beitrag leisten. Viele Rohstoffe, die demnächst auf der Erde knapp werden könnten (Spektrum direkt - Die Rohstoffkrisen der Zukunft), sind nämlich in großer Menge in erdnahen Asteroiden enthalten. Insbesondere bezüglich Gallium, das als Dotierungselement für Solarzellen relevant ist, wird es aller Wahrscheinlichkeit nach schon gegen Mitte des 21. Jahrhunderts zu Engpässen kommen. Asteroide stellen jedoch ein regelrechtes Rohstoff-Schlaraffenland dar. Die Entwicklung des Bergbaus auf diesen Kleinkörpern könnte daher demnächst hohe Priorität erhalten.

Und Solarkraftwerke im Erdorbit - oder eventuell an Lagrangepunkten - werden einen wichtigen Beitrag zur Versorgung der Menschheit mit sauberer, unbegrenzter Energie leisten: Unbeeinträchtigt von Witterung, Jahreszeiten, Tag- und Nachtrythmus und atmosphärischer Absorption könnten sie mit Mikrowellenstrahlen Energie zur Erde schicken. Die Mikrowellenbündel werden dabei natürlich so weit aufgefächert, dass man auch dann keinen Schaden erleidet, wenn man mitten im Strahl steht.


Die japanische Weltraumbehörde JAXA möchte 
bis 2030 ein orbitales Solarkraftwerk mit einer Leistung 
von 1 GW installieren.


So nützlich Aktivitäten in der näheren kosmischen Umgebung der Erde auch sein werden - Hoch- und Fernziel für die Menschheit wird sein, ein Raumschiff zu einem erdähnlichen Exoplaneten zu schicken. Die hierfür nötige Technologie (bzw. Technologie, die es erlaubt, solche Missionen innerhalb halbwegs überschaubarer Zeiträume durchzuführen) liegt zwar noch in weiter Ferne - ein nicht unbeträchtlicher Anteil der Physiker geht jedoch davon aus, dass dies möglich sein wird, sobald wir in der Lage sind, Energien in entsprechenden Größenordnungen zu handhaben. Die British Interplanetary Society entwarf schon in den 1960ern ein zweistufiges Raumschiff, dass mittels eines gepulsten Kernfusionsantriebs bis zu 12% der Lichtgeschwindigkeit erreichen kann. Ein 1 km breiter Gürtel von Solarzellen rund um den Mond würde in etwa soviel Leistung liefern, wie die Menschheit momentan verbraucht. Selbstreplizierende Roboter könnten so einen Gürtel anlegen - und noch einen zweiten, dritten... etc. daneben setzen! Die zur Verfügung stehende Energie ließe sich Antimateriefabriken zuführen: dies ist der bekannter Physik zufolge stärkstmögliche Raketentreibstoff überhaupt.


Konzept einer Antimaterierakete (NASA)


Und was Warpantriebe, Hyperraum, Sterntore u. ä. angeht - wie hieß der "inoffizielle" James-Bond-Film noch mal so schön? Sag niemals nie!

Die Realisierung eines so gigantischen Projektes wie ein interstellares Schiff es darstellt wird die konzertierten Anstrengungen von Wissenschaftlern und Ingenieuren auf der ganzen Welt über mehrere Generationen in Anspruch nehmen. Das wird nicht nur Physik und Technologie einen ungeheuren Auftrieb geben - man denke daran, welcher Nutzen sich allein aus Beherrschung der Kernfusion ziehen ließe - es wird die Menschheit auch zusammenschweißen! Angesichts der ultimativen Herausforderung, die der Kosmos uns stellt, verblassen alle kleinlichen nationalen, ökonomischen und sonstigen Streitigkeiten, die uns heutzutage noch dazu verleiten, uns gegenseitig das Leben schwer zu machen (man ist versucht, von "Kinderkrankheiten" unserer Zivilisation zu reden). Was sind unsere archaischen, von Angst und Mißtrauen geprägten Konflikte gegen die Möglichkeit, sich zur raumfahrenden Spezies in der Galaxis zu entwickeln!

Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Wir erleben gerade die Morgendämmerung des Raumfahrtzeitalters. In einigen Jahrhunderten werden die Menschen möglicherweise auf unsere Zeit zurückschauen wie die Menschen der Renaissance auf das finstere Mittelalter. Doch wir müssen beginnen, uns in diese Richtung zu bewegen. Noch nie wurde irgendein Fortschritt erzielt, indem man wissenschaftliche Problemstellungen als "Angelegenheit für die Zukunft" ansah, um die man sich vorläufig nicht zu kümmern brauche. Die Zukunft wird nicht von alleine zu uns kommen. Aber durch kreative Arbeit, durch Grundlagenforschung und Entwicklung neuer Technologien, können wir uns auf den Weg zu ihr machen. Damit sollten wir schon heute beginnen.


The sky calls to us. If we do not destroy ourselves, 
we will one day venture to the stars. (Carl Sagan)



Web-Tip:

Tau Zero Foundation - eine Nonprofitorganisation, die Möglichkeiten der interstellaren Raumfahrt auslotet. 

Samstag, 23. April 2011

Warum Hedonismus etwas Gutes ist

"Ich fordere das Recht auf Unglück!"

Diesen Satz schleudert in Aldous Huxleys Roman "Brave New World" der Außenseiter John dem "World Controller" entgegen, einem Repräsentanten eines weltweiten Unterdrückungssystems, das darauf abzielt, die Menschen durch Abspeisung mit billigen Vergnügungen und Unterhaltung gefügig zu machen.

Das ist, was nach wie vor die meisten Menschen unter Hedonismus verstehen: Nervenkitzel, Zerstreuung, Verantwortungslosigkeit. Wer darauf aus ist, sich zu vergnügen, es sich gut gehen zu lassen, gilt automatisch als suspekt. Die Verrichtung unangenehmer und quälender Tätigkeiten wird dagegen als lobenswert angesehen. Genuß=schlecht, Qual=gut - etwas überspitzt lässt sich eine weit verbreitete moralische Vorstellung so formulieren.

In den vergangenen Tagen fielen die christlichen Kirchen dadurch auf, dass sie verstärkt auf das Karfreitags-Tanzverbot pochten: Da der Karfreitag ein Trauertag sei, dürften an diesem Tag keine öffentlichen Tanzveranstaltungen stattfinden! Diskotheken wurden aufgefordert, geschlossen zu bleiben, oder aber Schilder aufzustellen, auf denen die Gäste gebeten wurden, sich zur Musik nicht zu bewegen. Dies löste Proteste aus. In Frankfurt trafen sich über 1000 Menschen zu einem Smartmob vor dem Rathaus, wo sie Musik von ihren MP3-Playern hörten und dazu tanzten, um aufzuzeigen, dass eine archaische Religion ihnen nicht vorzuschreiben habe, wie sie ihre Freizeit gestalteten.

Doch auch ohne das Tanzverbot strahlen alle monotheistischen Religionen eine nahezu masochistische Lustfeindlichkeit aus. Ein verheirateter Mann, der einer fremden Frau auch nur einen kurzen interessierten Blick zuwerfe, möge sich die Augen ausreißen, so Jesus. Niemand darf, den zehn Geboten zufolge, das Eigentum eines anderen begehren - auch dann nicht, wenn er kurz vor dem Verhungern steht und jemand mit einem Korb voller Essen vorbeigeht. Das Diesseits wird als gottgegebenermaßen als qualvoll, traurig, entbehrungsreich angesehen - erst nach dem Tod, im Paradies, lockt ewige Freude; notabene nur für die, die erlöst werden, alle anderen werden auf ewig in der Hölle von den Teufeln gequält. Durch Leid während des physischen Lebens muß man sich dem Christentum zufolge das Paradies erst verdienen, wer sein Leben lang gelitten hat erwirbt so "Bonuspunkte" für ein schönes Leben im Jenseits.

Ich bin kein Religionshistoriker, und kann daher nur Vermutungen darüber aufstellen, wie der Monotheismus zu diesen Anschauungen kam. Vielleicht lag es einfach daran, dass diese Mythologien in sehr ariden, wüstenartigen Regionen entstanden, wo das Leben aufgrund der Umweltbedingungen hart, anstrengend und meist kurz war. Um das tägliche Leben sich erträglicher zu machen, erfanden die Menschen eine Religion, die Leid und Knappheit einen Sinn gab, sie als Vorbereitungs- und Prüfungsphase für ein erfülltes, sorgloses Leben im Paradies auswies. Andererseits ist eine solche Mythologie natürlich ein exzellentes Machtinstrument: Ein Herrscher, der die Bevölkerung unterdrückt und ausbeutet, kann sich religiös rechtfertigen und sagen: "Ihr Bauern müsst im Diesseits arbeiten, hungern und Krankheiten erleiden - dies ist aber gottgefällig, wenn ihr alles klaglos ertragt, werdet ihr im Jenseits himmlisch belohnt." Dies hielt Fürsten, Könige und Äbte natürlich nicht davon ab, selbst von den eingezogenen Steuern in Saus und Braus zu leben. Dass den Bauern diese Doppelmoral unangenehm auffiel zeigen die zahlreichen Bauernaufstände und -kriege im Mittelalter. "Als Adam grub und Eva spann - wo war denn da der Edelmann?" hieß es in einem verbreiteten Kampflied.

Diese Grundhaltung - den Status Quo als gottgegeben anzusehen und jeden Versuch, die Lebensbedingungen zu verbessern als menschliche Hybris und sündhafte Auflehnung wahrzunehmen - stürzte die europäische Zivilisation in eine fast 1000 Jahre währende kulturelle Stagnation. Nicht nur die Verbesserung der physischen Lebensbedingungen, auch die Suche nach geistigen Genüssen war der Kirche suspekt. Es dauerte bis zur Renaissance, bis Europa wieder Wissenschaftler, Künstler und Philosophen hervorbrachte, die den antiken Vorläufern das Wasser reichen konnten.

Wie man an den absurden Tanzverbotsforderungen sieht, hält der lange, lebensfeindliche Atem des Monotheismus jedoch bis heute an. Ich persönlich glaube, ich bin "im falschen Film", wenn ich lese, dass Menschen anderen das Feiern verbieten wollen, weil an einem bestimmten Tag angeblich eine Figur aus der Mythologie gestorben ist.

Sagen wir es klipp und klar. Gott existiert mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht. Die Forderungen nach Selbstkasteiung, nach klaglos ertragenem Leid, nach freiwilliger Unterwerfung unter ein ungerechtes System sind geistige Fossilien, die auf Vorstellungen bronzezeitlicher Nomadenvölker zurückgehen. Es wird an der Zeit, dass wir all dies hinter uns lassen, und ernsthaft darüber nachdenken, wie sich das Leben besser, erfüllter, angenehmer für alle Menschen gestalten ließe. Dies schließt sowohl geistige wie auch körperliche Genüsse mit ein. Im Gegensatz zu dem antiken Philosophen Epikur, der ein rein geistiges, introspektives Leben als am erstrebenswertesten ansah, gehören aus meiner Sicht nicht nur Kunst, Forschung und Philosophie zu einem erfüllten Leben, sondern auch angenehme ästhetische und emotionale Erfahrungen: Liebe, Sex, gutes Essen, Musik und soziale Kontalte sind ebenso unverzichtbar. Ich halte es mit dem Transhumanisten Ben Goertzel: "Maximize happiness but also maximize growth." Mit "Growth" ist hier nicht nur materielles, sondern auch geistiges Wachstum gemeint: Zuwachs an Wissen und Information. Auf diese Weise läßt sich vermeiden, dass die Menschheit, wie in "Brave New World", in eine Art lustvolle Starre verfällt. Wenn körperlicher, geistiger und emotionaler Lustgewinn gleichermaßen angestrebt werden, tritt kein Stillstand ein, sondern die Menschheit entwickelt sich immer weiter: Immer neue Rätsel müssen gelöst werden, die das Universum uns aufgibt, immer neue künstlerische und philosophische Herausforderungen stellen sich, immer neue Horizonte können überschritten werden.

Wir sollten daran arbeiten, dass alle Menschen auf der Welt daran teilhaben können.

Die amerikanischen Gründerväter lagen nicht falsch, als sie in ihre Declaration of Independence die Forderung nach dem Recht auf "Life, Liberty and the Pursuit of Happiness" aufnahmen.

Heutzutage herrscht bei vielen Menschen eine große Zukunftsangst. Technische Neuerungen werden nicht unter dem Gesichtspunkt "wie könnte uns das nützen", sondern unter "welchen Schaden könnte uns das zufügen" betrachtet. Angesichts der Kriege im 20. Jahrhundert und der drohenden Zerstörung der Umwelt ist dies psychologisch verständlich. Gelänge es aber, den Menschen den Hedonismus als eine positive, fortschrittliche Kraft nahezubringen und die Steigerung von Glück und Lust allgemein zu einem erstrebenswerten Ziel zu erklären, dann würde technologischen Innovationen ihr Schrecken genommen werden: Wer sein eigenes Wohlbefinden und das seiner Freunde und Mitmenschen anstrebt, der wird kein Waffensystem konstruieren, sondern einen Apparat, der das Leben verbessert. Ein Programmierer, der sich darauf freut, nach der Arbeit mit seiner Freundin ein Picknick im Wald zu machen, wird ein neu entwickeltes KI-System nicht in eine Kampfdrohne einbauen, sondern in einen Roboter, der Abfälle aus dem Wald entfernt. Ein Nukleartechniker, der sein Leben genießt, wird dieses nicht gefährden wollen, indem er Bomben baut. Stattdessen wird er beispielsweise die Entwicklung eines nuklearen Raumschiffantriebs anstreben, der Astrophysikern dabei hilft, mehr über das wunderbare Universum, in dem wir leben, herauszufinden.

(Mehr über nukleare Raketenantriebe und ihre Chancen und Risiken später!)

Daher ist der Hedonismus nicht nur ein angenehmer Zusatz zu unserem Leben, sondern wir sind geradezu auf ihn angewiesen! Der "hedonistische Imperativ" könnte für die Menschheit zu einem wichtigen Konzept werden.

Wir sollten uns John entgegenstellen und den Machthabern ins Gesicht rufen: "Wir fordern das Recht auf Glück!"

Flügge, aber zögerlich - Raumfahrt in der Literatur

Wenn ich im Augenblick aus dem Fenster sehe, fällt mein Blick auf ein rotes Backsteingebäude und ein Gewirr grüner Baumkronen, die sich vor dem stahlblauen Aprilmorgenhimmel abzeichnen. Denkt man sich das rote Haus weg, ist die Aussicht vielleicht kaum verschieden von der, die vor über 200 Jahren Friedrich Schiller genoss, wenn er aus seinem Gartenhaus hinaus sah, das knapp 100 Meter von hier entfernt steht: Eine vertraute Landschaft, bedeckt mit saftiger Vegetation. Eine Welt, in der man sich zuhause fühlen kann. Eine vertraute Welt.

Der Schein trügt in gewisser Hinsicht. Schon in zehn Kilometern Höhe - das ist weniger als die Strecke von hier (Jena) bis Weimar - hat man 90% der irdischen Lufthülle unter sich gelassen. In 100 Kilometern Höhe - weniger als die Entfernung bis Eisenach - beginnt nach Definition der Federation Aeronautique International der Weltraum: The Final Frontier, um das Star Trek Intro zu zitieren. Das ultimative Unbekannte, der sprichwörtliche weiße Fleck auf der Karte. Ein Gebiet, das jenseits menschlicher Erfahrung liegt, das Forscher und Entdecker herausfordert.

Völlig weiß ist der Fleck natürlich nicht mehr: Vor fünfzig Jahren unternahm Juri Gagarin den ersten bemannten Vorstoß ins Weltall. 1969 betrat Neil Armstrong als erster Mensch einen anderen Himmelskörper als die Erde - den Mond in 380 000 km Entfernung. Roboter sind bis an die Grenzen unseres Sonnensystems und sogar darüber hinaus vorgestoßen. Letzteres ist allerdings eine Definitionssache: Setzt man als Grenze des Sonnensystems die Heliopause an (die Region, in der der Teilchenstrom von der Sonne ins dünne interstellare Gas übergeht), dann hat Pioneer 10 es bereits verlassen, lässt man es sich allerdings bis zur Oort'schen Wolke erstrecken, dann ist er noch weit innerhalb. Zusätzlich spähen auf der ganzen Welt große und kleine Teleskope in allen Wellenlängenbereichen tief in die Abgründe von Raum und Zeit.

Von vielen Menschen werden diese Forschungen mit großem Interesse verfolgt. Wenn wir dienstags- und samstagabends die Urania-Volkssternwarte für Besucher öffnen, stehen die Gäste bald dichtgedrängt um das Teleskop und durchlöchern uns mit Fragen. Stellt man ein paar Instrumente am Sidewalk Astronomy Day auf die Strasse, schwärmen die Leute herbei. Besonders Kinder sind oft von den Sternen und Himmelskörpern fasziniert und trumpfen zuweilen mit mehr Hintergrundwissen auf als mancher Erwachsene.

Astronomie ist vermutlich die Wissenschaft, die bei Laien auf das stärkste Interesse stößt. Oft hört man Sätze wie: "Ja, wenn ich das mit der Mathematik könnte - dann würde ich das beruflich machen".

Angesichts des starken öffentlichen Echos scheint es umso verblüffender, das Astronomie und Raumfahrt in der Kunst eine Art Schattendasein führen. Gemälde, Romane, Theater und andere Formen der sogenannten "Highbrow-Kultur" sind inhaltlich im wesentlichen auf den angestammten Wohnraum des Menschen beschränkt geblieben: Die Erde. Seit den Zeiten Friedrich Schillers hat sich im Bewußtsein der Künstler wenig geändert: Was außerhalb der vertrauten irdischen Umgebung liegt ist bestenfalls unbekannt und schlimmstenfalls irrelevant.

Natürlich existieren Ausnahmen. Hans Castorp unternimmt im "Zauberberg" eine innere Reise vom Kleinsten bis zum Größten, von der Welt der Moleküle bis zu fernen Planeten. Arno Schmidt schickt in "KAFF - auch Mare Crisium" mittlere Angestellte auf einen imaginären Mondausflug. Thomas Pynchon spinnt in "Gravity's Rainbow" ein groteskes, halluzinatorisches Gebilde von quasi fraktal ineinandergeschachtelten Geschichten um die Anfänge der Raketentechnik. Die Mehrheit der Künstler verlässt die Wiege, in die die Menschheit sich seit Jahrhunderttausenden gekuschelt hat, jedoch lieber nicht.

Nicht so die Populärkultur. Schon Jules Verne ließ seine Figuren im 19. Jahrhundert zu anderen Himmelskörpern reisen. Der eigentliche Urknall der Science Fiction war jedoch die Gründung des Magazins "Amazing Stories" von Hugo Gernsback im Jahr 1926. Eine stetig anwachsende Lawine von Stories, Romanen, Comics, Filmen, TV-Serien und zuletzt auch Videospielen inszenierte das Geschick der Menschheit im Kosmos, beschrieb die Besiedlung anderer Himmelskörper, Kontakte und Konflikte mit außerirdischen Lebensformen und die Suche nach letzten Gründen und Gesetzmäßigkeiten in den Abgründen des Universums. Und eine große Fangemeinde wartet stets auf neue Abenteuer.

Nichtsdestotrotz werden all diese Geschichten meist als bloße Unterhaltung angesehen. Kurt Vonnegut sprach einmal von der Science Fiction als "Pissbecken der Literatur". In vielen Fällen haben die Kritiker nicht Unrecht: Ein Großteil der Science Fiction weist schematische Handlungslinien, flache Charaktere mit wenig Innenleben und eine hölzerne Sprache auf. Hält man die erste Seite der "Foundation Trilogy" von Isaac Asimov neben die erste Seite der "Blechtrommel" von Günter Grass, dann bemerkt man schon nach wenigen Sätzen den haushohen Unterschied zwischen der kraftlosen, etwas geschwätzig wirkenden Sprache von Asimov und den mächtigen, manchmal wie ein fernes Gewitter grollenden Sätzen von Grass. Es existieren natürlich durchaus Science Fiction-Romane die auch von der etablierten Literatur positiv aufgenommen wurden: "Brave New World" von Aldous Huxley, "Fahrheit 451" von Ray Bradbury, "1984" von George Orwell und nicht zuletzt einige der Romane von Michel Houellebecq. Allen diesen Werken ist jedoch gemeinsam, dass sie auf der Erde spielen und eine (im wesentlichen negative) Weiterentwicklung der irdischen Gesellschaft in der Zukunft beschreiben. Die Raumfahrt spielt in ihnen keine Rolle.

Eine ganz andere Situation herrschte in den ehemaligen Ostblockstaaten. Hier wurde Science Fiction ohne zu zögern als "richtige Literatur" anerkannt. Die Werke von Autoren wie dem Polen Stanislaw Lem oder den sowjetrussischen Gebrüdern Arkadi und Boris Strugazki reihten sich im Regal neben Dostojewski ein, ohne dass dieser - bzw. seine moderne Stammleserschaft - darüber die Nase gerümpft hätte.

Sei es, dass die sozialistische Tradition der Ostblockstaaten Technik, Industrie und Wissenschaft als wichtigstes Rückgrad der Gesellschaft ansah und die Science Fiction deshalb als logische Ausdrucksform der modernen Zivilisation betrachtet wurde, sei es, dass gedankliche Ausflüge in ferne Welten die einzige Möglichkeit darstellten, die diktatorischen Regimes dieser Staaten zu kritisieren ohne dass die Zensur zuschlug - was auch immer die Ursache für die höhere Wertschätzung der osteuropäischen Science-Fiction-Literatur war: Abgesehen von ihrem höheren gesellschaftlichen Stellenwert waren die Romane auch einfach sprachlich und inhaltlich den amerikanischen Kollegen oft um vieles überlegen. Bücher wie Lems "Der Unbesiegbare", die "Kyberiade" oder "Picknick am Wegesrand" der Gebrüder Strugazki hängen von der literarischen Qualität her jeden Asimov oder Clarke mühelos ab.

Stanislaw Lem hatte meist wenig Gutes über die amerikanische Science Fiction zu sagen. Ihm zufolge war sie nie wirklich aus der Groschenheft-Gosse herausgeklettert, er bezeichnete sie sogar als "hoffnungslosen Fall", bei dem es jedoch Ausnahmen gebe (eine dieser Ausnahmen war Lem zufolge Philip K. Dick). Er fügte hinzu, dies läge nicht an prinzipiellen Einschränkungen dieser Art von Literatur, sondern daran, dass die Autoren die Möglichkeiten des Genres einfach nicht voll ausschöpfen würden.

Ich würde hinzufügen, dass es auch daran liegt, dass das kulturelle Bewußtsein einfach recht langsam auf technisch-wissenschaftliche Fortschritte reagiert. Obwohl die Menschheit bereits in den Kosmos ausgeflogen ist, hat die Kunst bisher nur zögerliche Blicke über den Nestrand geworfen. Ähnlich wie neu entdeckte Erdteile - Amerika, Ostasien, Australien - in der frühen Neuzeit nur langsam ins kulturelle Bewußtsein der Europäer vordrangen, sind andere Himmelskörper bisher noch nicht vollständig Teil unserer "Weltwahrnehmung" geworden.

In der Zukunft wird sich dies ändern. Wenn die Menschheit erst im großen Stil in den Kosmos aufgebrochen ist und permanente Kolonien auf anderen Planeten gegründet hat, werden auch die Schriftsteller und Künstler sich vermehrt mit dieser Thematik beschäftigen. Vielleicht ist es sogar an der Zeit, dass wir unsere gesamte Vorstellung von "Erde hier" - "Kosmos dort" verwerfen und zu einem integrierteren Weltbild übergehen - der Weltraum ist, anders als die antiken Philosophen dachten, kein jenseitiges, separates Reich, in dem ganz andere Gesetze als auf der Erde gültig sind. Die fernsten Galaxien werden von der gleichen Physik beherrscht wie das Zimmer, in dem ich gerade sitze. Erde und Weltraum sind keine voneinander getrennten Bereiche - man sollte eigentlich sagen: Wir sind bereits im Weltraum. Während wir hier auf der Erde unseren alltäglichen Geschäften nachgehen, befinden wir uns auf einem Planeten des Sonnensystems mitten im All. Lediglich eine dünne Lufthülle und ein Magnetfeld schützen uns vor Vakuum und Strahlung. Um mit Buckminster Fuller zu reden: Die Erde ist eigentlich ein Raumschiff, auf dem wir durch das Universum kreuzen. Und es ist an der Zeit, dieses Raumschiff zu verlassen und andere Orte zu erforschen und zu bewohnen. Der Kosmos ruft uns... darüber ein andermal mehr!

Funkspruch

Neil Brainstrong: Mission Control, hier ist Raumgleiter Starlight-1. Es spricht der Kommandant. Wir haben eine defekte Feldspule im Backbord-Fusionsaggregat. Ende.

Mission Control: Verstanden, Starlight-1.  Wir schicken Ihnen ein Ersatzaggregat, sobald wir eine Trägerrakete entbehren können. Bis dahin entspannen Sie sich einfach und trinken einen Earl Grey mit Zucker. Ende.

Neil Brainstrong: Verstanden, Mission Control. Aber die ganze Zeit nur Tee trinken ist etwas langweilig. Ende.

Mission Control: Wenn Ihnen langweilig ist, nutzen Sie doch Ihren Breitband-Downlink zur Erde, um die Bürger des schönen Planeten, den Sie unter sich sehen können, mit ein paar Artikeln über Ihre Ideen, Vorstellungen, Projekte, Einfälle und was Sie sonst noch so interessiert zu beglücken. Ende.

Neil Brainstrong: Roger, Mission Control. Wird gleich in die Tat umgesetzt. Ende.

Mission Control: Aber bitte keine Katzenbilder! Ende.

Neil Brainstrong: Aber Mission Control, wir haben hier oben doch gar keine Katze. Ende.

Mission Control: Wir wollten nur auf Nummer sicher gehen, Starlight-1. Ende.

Neil Brainstrong: Wir machen uns sofort an die Arbeit. Ende.

Mission Control: Viel Glück, Starlight-1! Mission Control Ende und Aus.

Und so entstand das Neil Brainstrong Magazine...


Neil Brainstrong.