Freitag, 29. Juli 2011

Warum haben Raketen Stufen?

Während des Golden Age der Science Fiction war jedem klar, wie ein vernünftiges Raumschiff auszusehen hat: Eine schlanke, elegante, spindelförmige Rakete, die als ganzes ins All fliegt und wieder zurückkehrt, indem sie kontrolliert auf ihrem Feuerstrahl landet.

Fiktion...


Die Realität entpuppte sich jedoch als weniger poetisch: Reale Raketen bestehen aus mehreren über- oder nebeneinander angeordneten Stufen, die während des Aufstiegs in die Umlaufbahn nacheinander abgeworfen werden. Der Rücksturz erfolgt ohne Antrieb, Raumkapseln gehen an Fallschirmen nieder, das Shuttle und die Buran glitten wie Segelflugzeuge zu Boden.


...und Realität!



Im Fall des russischen Sojus-Schiffs wirft die Kapsel sogar Vorder- und Hinterteil ab (woraufhin sie verglühen), nur das mit den Kosmonauten besetzte Mittelstück kehrt zur Erde zurück.

Woran liegt diese Diskrepanz zwischen Fiktion und Realität? Wieso haben wir keine Raketen, die wie in "Tim und Struppi" komplett zum Mond und wieder zurück fliegen und unter Benutzung ihres Antriebs kontrolliert aufsetzen können?

Zur Beantwortung dieser Frage sollten wir uns die Funktionsweise von Raketen genauer ansehen.

Alle Raketenantriebe beruhen auf dem Rückstoßprinzip, das eine Anwendung der Impulserhaltung ist. Materie wird hinten ausgestoßen, wodurch die Rakete nach vorne beschleunigt wird, da der Gesamtimpuls des Systems konstant bleibt und die Rückwärtsbewegung der Reaktionsmasse durch Vorwärtsbewegung des Schiffs kompensiert werden muß. Da der Weltraum fast völlig leer ist, ist dies die einzige Möglichkeit, ein Raumschiff zu beschleunigen. Anders als Flugzeuge oder Bodenfahrzeuge können sie sich nicht an einem umgebenden Medium abstoßen. Die Schubkraft berechnet sich nach der Formel:

Fschub = v0 dm/dt + Ad * (Pi-Pa)

Dabei ist v0 ist Ausstoßgeschwindigkeit, dm/dt die Durchflussrate der Reaktionsmasse (in kg/s), Ad die Auslassöffnung der Düse und Pi-Pa die Druckdifferenz zwischen der Düsenöffnung und der Umgebung. Im Weltraum ist Pa natürlich nahezu Null.

Obwohl es so aussieht, als ob sich die Schubkraft durch eine hohe Druckdifferenz zwischen außen und innen steigern lässt, erzielt man die besten Ergebnisse mit Pi=Pa, da dann die Ausstoßgeschwindigkeit maximal ist.

Um die Reaktionsmasse zu beschleunigen, wird Energie benötigt. Bei chemischen Raketen stammt diese aus der Reaktionsmasse selbst - im Triebwerk werden Chemikalien verbrannt, die Reaktionsprodukte strömen mit hoher Geschwindigkeit aus der Düse. Bei Ionenantrieben dagegen werden ionisierte Gase durch elektrische oder magnetische Felder beschleunigt, die nötige elektrische Energie muss von Solarzellen oder kleinen Kernreaktoren geliefert werden. Kaltgasantriebe entnehmen die Energie einfach der Entspannung eines Gases aus einem Drucktank.

Um die Effizienz eines Raketenantriebs zu bestimmen, ist es nützlich zu wissen, wie effizient der Reaktionsmassenstrom in Schubkraft umgewandelt wird. Dazu dient der sog. spezifische Impuls, der die erzeugte Kraft pro ausgestoßener Masse misst:

Ispez = Fschub / (dm/dt * g).

g = 9.81 m s^-2 ist hier die Beschleunigung an der Erdoberfläche. Sie dient nur zur Skalierung. Der spezifische Impuls hat die Einheit Sekunde. Je größer er ist, desto mehr Kraft erzeugt die Rakete pro kg Reaktionsmasse. Er sagt jedoch noch nichts über die tatsächliche Schubkraft aus: Auch ein Antrieb mit hohem Ispez kann über eine durchaus geringe Schubkraft verfügen, wenn er nur wenig Masse pro Sekunde auswirft. Ionenantriebe haben zum Beispiel einen höheren spezifischen Impuls als chemische, weil jedoch nur wenig Gas pro Sekunde ausströmt, ist die erzeugte Kraft viel niedriger, weshalb man sie auch nicht für Bodenstarts verwenden kann.

Wie berechnet man den gesamten Geschwindigkeitszuwachs, den ein Raketenantrieb liefert? Die Formel dafür fand zu Beginn des 20. Jahrhunderts der russische Physiklehrer Konstantin Ziolkowski. Seine berühmte Raketenformel lautet:

Delta v = Ispez*g * ln(Mvoll/Mleer)

Delta v ist die gesamte Änderung der Geschwindigkeit, die eine Rakete durchzuführen vermag - die wichtigste Leistungsgröße eines Raketenantriebs. Während man bei einem Bodenfahrzeug oder Flugzeug die Reichweite pro Tankinhalt angibt, nennt man bei einem Raumschiff die maximale Geschwindigkeitsänderung. Die Reichweite im Weltraum ist mangels Reibung nahezu unendlich: Auch bei abgeschaltetem Triebwerk driftet ein Raumschiff immer weiter ohne zur Ruhe zu kommen.

Mvoll und Mleer sind die Massen der vollgetankten bzw. leergeflogenen Rakete, ln steht für den natürlichen Logarithmus.

Bei Vernachlässigung der Druckdifferenz in der Schubkraftformel vereinfacht sich die Gleichung zu:

Delta v = v0 * ln(Mvoll/Mleer)

Dies ist ihre bekannteste Form. Den Quotienten R=Mvoll/Mleer nennt man Massenverhältnis. Man kann ihn auch schreiben als R = Mts/Mleer + 1 wobei Mts die Treibstoffmasse ist. Bei bekanntem Delta v und v0 kann man R errechnen aus:

R = exp(Delta v / v0).

exp steht für die Exponentialfunktion (Umkehrfunktion des Logarithmus).

Man sieht sofort, dass die Leistungsfähigkeit einer Rakete nur vom Massenverhältnis und der Ausstoßgeschwindigkeit abhängt - zumindest solange man "Leistungsfähigkeit" nur auf die erzielbare Geschwindigkeitsänderung bezieht! Die Formel sagt nichts darüber aus, wie schnell diese Geschwindigkeitsänderung erfolgt. Ionenantriebe haben einen viel höheren spezifischen Impuls als chemische (rund zehnmal größer), und können dadurch ein sehr hohen Delta v erzielen. Der Massendurchstrom dm/dt durch sie ist aber extrem gering, weswegen sie auch nur eine ganz kleine Schubkraft erzeugen: Bis der Tank leer ist und die volle Geschwindigkeitsänderung stattgefunden hat, vergehen Wochen oder Monate.

Um zu zeigen, wieso man im Fall chemischer Raketen auf Stufensysteme angewiesen ist, betrachten wir die Aufgabe, eine Masse von 1000 kg in eine niedrige Erdumlaufbahn zu bringen. Hierzu muss die sogenannte Erste Kosmische Geschwindigkeit v1 = 7900 m/s erreicht werden (die Umlaufgeschwindigkeit auf einer niedrigen Kreisbahn). Hinzu kommen Bremseffekte durch die Erdanziehung und den Luftwiderstand beim Aufstieg, die sich zu einer benötigten Zusatzgeschwindigkeit von vdrag = ~ 2000 m/s addieren. Die Rakete muss also v1 + vdrag = 9900 m/s gewinnen! Da wir noch etwas Spielraum für Kurskorrekturen haben wollen, runden wir auf auf Delta v = 10 000 m/s.

Wir wählen den stärksten chemischen Treibstoff: H2/O2 - Flüssigwasserstoff und -sauerstoff. Diese bieten einen spezifischen Impuls von Ispez = 450 s. Das entspricht einer Ausstromgeschwindigkeit von v0 = Ispez * g = 450 s * 9.81 m/s^2 = 4414.5 m/s.

Damit erhalten wir für R:

R = exp(10 000 m/s / 4414.5 m/s) = 9.63.

Eine solche Rakete kann man aus technischen Gründen kaum bauen. Ab einer gewissen Größe würden die Drucktanks mit den Flüssiggasen unter ihrem eigenen Gewicht bersten. In der Praxis werden Raketen bereits ab R>4 unökonomisch.

Wie lässt sich diesem Dilemma beikommen?

Die Lösung ist verblüffend einfach: Man erhöht R indem man leergebrannte Tanks unterwegs abwirft. Das lässt sich am einfachsten realisieren, wenn man die Rakete aus vielen kleineren über- oder nebeneinander angeordneten "Miniraketen" aufbaut - eben Raketenstufen! Sobald eine Stufe leergebrannt ist, wird sie abgesprengt, und die darüber liegende zündet. Dadurch wird die Rakete leichter und leistungsstärker: Aufgebrauchte Stufen müssen nicht mitbeschleunigt werden, Endgeschwindigkeit und Nutzlast wachsen.

Ein zusätzlicher Vorteil dieser Methode besteht darin, dass man für die einzelnen Stufen verschiedene Triebwerkssysteme wählen kann - für die unteren welche, die für Bodenstart und Atmosphärenflug geeignet sind, für die oberen solche, die im Weltraum ihre maximale Leistung entfalten.

Man zeigt leicht, dass sich die Massenverhältnisse der einzelnen Stufen zum Gesamtmassenverhältnis der ganzen Rakete aufmultiplizieren. Auf diese Weise kann man Raketen mit sehr großen R bauen. Die riesige Saturn V, mit der die Astronauten in den 60er und 70er Jahren zum Mond flogen, hatte ein Massenverhältnis von 22, das Space Shuttle immerhin eines von 16.

Die von den einzelnen Stufen erzeugten Geschwindigkeitszunahmen addieren sich natürlich ganz einfach:

Delta v = Isp1 * g * ln(R1)  +  Isp2 * g * ln(R2)  +  ....

Nehmen wir vereinfachend an, dass die Stufen Treibstoff mit gleichem spezifischem Impuls Isp nutzen, können wir dies umformen zu:

Delta v = Isp * g * ln(R1*R2*...).

Die einzelnen Massenverhältnisse multiplizieren sich also auf zum effektiven Massenverhältnis Reff = R1*R2*...

Um 1000 kg auf 10 000 m/s zu beschleunigen, genügt es daher, zwei Stufen übereinander anzuordnen. Wir benutzen der Einfachheit halber identische Stufen, jede mit R = SQRT(9.63) = 3.1, so das Reff = R * R = 9.63 (SQRT steht für die Quadratwurzel).

Wir designen unsere Rakete nun von oben nach unten. Für die Oberstufe gilt:

R2 = 3.1 = 1 + Mts2/(Mpl + Mstrukt2),

wobei Mpl = 1000 kg die Nutzlast ist ("Payload") und Mstrukt2 die "Strukturmasse" der Stufe (Tanks, Hülle, Leitungen, Pumpen, Triebwerke, etc). Unter der Annahme, dass Mstrukt2 = 10 000 kg, lässt sich die obige Gleichung nach der Treibstoffmasse Mts2 auflösen:

Mts2 = (R2 - 1)*(1000 kg + 10 000 kg) = 23 100 kg.

Wir benötigen also immerhin über 23 Tonnen Treibstoff!

Die Unterstufe hat nun sowohl ihr eigenes Gewicht wie das der gesamten (vollgetankten) Oberstufe plus Nutzlast zu tragen. Es gilt:

R1 = 3.1 = 1 + Mts1/(M2 + Mstrukt1).

M2 ist jetzt die gesamte Masse der vollen Oberstufe plus Nutzlast: M2 = Mts2 + Mstrukt2 + Mpl = 23100 kg + 10000 kg + 1000 kg = 34100 kg.

Mit Mstrukt1 = 30 000 kg (die Unterstufe muss ja wesentlich robuster sein, da das ganze Gewicht der Oberstufe auf ihr lastet), ergibt sich:

Mts1 = (R1 - 1)*(34100 kg + 30000 kg) = 134 610 kg.

Die Unterstufe enthält damit fast 135 Tonnen Treibstoff.

Bei realen Designs benutzt man natürlich von Stufe zu Stufe unterschiedliche Treibstoffe. Für die unteren setzt man meist Antriebssysteme mit niedrigem spezifischem Impuls aber hoher Schubkraft ein, für die oberen Systeme mit hohem spezifischem Impuls und niedrigerer Schubkraft.

Bislang sind alle Raketen, die in der Lage sind, Lasten vom Erdboden in eine Umlaufbahn zu bringen, mehrstufig ausgelegt. Auf dem Mond kommt man dagegen wegen der geringeren Gravitation durchaus auch mit einer einzelnen Stufe aus: Das Aufstiegsmodul, dass die Apolloastronauten nutzten, um zum Mutterschiff zurückzukehren, war einstufig.

Jeder Science-Fiction-Fan, und jeder Freund technologischer Ästhetik findet Mehrstufensysteme natürlich unglaublich unschön. Man möchte schließlich in einem silbernen Projektil "aus einem Guß" ins All reisen und nicht etwa auf einem Turm aus Treibstofffässern, die nacheinander wegbrechen. Aber es gibt auch praktische Gründe, aus denen Raumfahrtingenieure schon seit einiger Zeit über SSTO-(Single Stage to Orbit)-Systeme nachdenken: Je mehr Komponenten ein System hat, desto größer ist das Risiko, dass irgendetwas schief geht! Die Stufenabtrennung ist jedesmal ein kritischer Zeitpunkt: Das Abtrennen der ausgebrannten Stufe kann fehlschlagen, oder die Zündung der darüberliegenden, oder die Stufen können kollidieren. Ein einstufiges System wäre robuster und weniger fehleranfällig.

Es wurde schon über viele verschiedene SSTO-Ansätze nachgedacht. Eine beliebtes Konzept ist ein Weltraumflugzeug, dass von einer normalen Startbahn abhebt, bis in die Umlaufbahn aufsteigt, wieder landet und schon wenige Tage später wieder einsatzbereit ist - fast wie ein normales Düsenflugzeug. Der Trick besteht hier darin, während des Fluges in der Atmosphäre den Luftsauerstoff als Oxidator zu nutzen und erst in größerer Höhe auf reinen Raketenantrieb umzuschalten. Dies erlaubt es, die internen Tanks kleiner zu gestalten, die Masse des Systems zu senken und dadurch Delta v zu erhöhen. Die Flügel erzeugen noch zusätzlichen Auftrieb und entlasten so den Rückstoßantrieb. Im Jahr 1986 begannen Rolls Royce und British Aerospace das HOTOL-Konzept (Horizontal Take-off and landing) zu entwickeln. Mangels brauchbarer Fortschritte wurde es jedoch eingestellt. Inzwischen hat die Firma Reaction Engines Ltd. den Plan wieder aufgegriffen und das analoge Projekt Skylon gestartet. Dieses Weltraumflugzeug soll über sogenannte SABRE (Synergistic Air-Breathing Rocket Engine)-Triebwerke auf Wasserstoffbasis verfügen: Beim Einstrom überstreicht die Luft einen Kegel, durch den der Wasserstoff als Kühlmittel hindurchgeleitet wird. Der dadurch verflüssigte Luftsauerstoff wird teils im Triebwerk direkt zur Verbrennung eingesetzt, teils in Tanks gespeichert, damit er in größerer Höhe für den Raketenmodus zur Verfügung steht.


Die europäische Weltraumbehörde ESA hat die Entwürfe geprüft und für machbar befunden. Daher unterstützt sie nun, zusammen mit dem British National Space Centre, das Projekt finanziell.

 
 
Animation, die einen typischen Einsatz des Skylon zeigt.


Aber auch senkrecht startende SSTO-Entwürfe geisterten schon über die Zeichenbretter der Ingenieure. 1967 entwarf Philip Bono von der Douglas Aircraft Company das SASSTO-Konzept: Saturn Application Single Stage to Orbit. Die Idee war, die Oberstufe der Saturn V mit einer sogenannten Airospike-Engine effizienter und dadurch SSTO-fähig zu machen. Airospike-Triebwerke beruhen darauf, dass die Verbrennungsgase nicht in einer Glockendüse ausgestoßen werden, sondern entlang der Oberfläche eines Keils, während der Umgebungsdruck die Rolle der Glocke übernimmt. Erinnern wir uns, dass die Schubkraft für Pi=Pa (Düsenauslassdruck = Außendruck) maximal wird. Steigt das Aerospike-Triebwerk auf, nimmt der Umgebungsdruck ab, wodurch die "Düse" größer wird, was den Düsenauslassdruck automatisch an den Außendruck anpasst. Das steigert den spezifischen Impuls des Systems.

Das SASSTO-System wäre in der Lage gewesen, eine Gemini-Raumkapsel in die Umlaufbahn zu bringen, und kontrolliert, unter Benutzung der eigenen Triebwerke, zu landen. Leider wurde die Entwicklung eingestellt, unter anderem, weil das Space Shuttle einen großen Teil des NASA-Budgets zu verschlingen begann.

Wesentlich stärkere Raketen als alles bisher existierende ließen sich mit nuklearen Antrieben erreichen. Bei diesen erhitzt ein Kernreaktor ein Gas (meistens Wasserstoff), das aus dem Triebwerk ausgestoßen wird. Mit Festkernreaktoren lässt sich bereits ein rund doppelt so hoher spezifischer Impuls erreichen wie bei chemischen Antrieben. Noch wesentlich leistungsstärker wären Flüssig- oder Gaskernreaktoren, bei denen der Kernbrennstoff geschmolzen oder in gasförmigem Zustand ist, was eine Aufheizung des Reaktionsgases auf bedeutend höhere Temperaturen und somit noch höhere Ausstoßgeschwindigkeiten erlaubt. Eine Rakete mit Gaskernreaktorantrieb könnte "auf einen Rutsch" 1000 Tonnen Material in eine Umlaufbahn bringen - fast 10 mal mehr als eine Saturn V, und 40 mal mehr als ein Space Shuttle.

Dies alles verblasst jedoch im Vergleich mit dem sogenannten Orion-Antrieb: Diese Raketen verfügen über gar kein herkömmliches Triebwerk, sondern werden von kleinen Atombomben, die im Abstand von einer Sekunde hinter ihr zur Explosion gebracht werden, "vorwärtsgeschubst". Die bemannte Version verfügt (neben den nötigen Strahlenschutzvorrichtungen) über ein Stoßdämpfersystem, das die vielen Explosionsstöße in eine kontinuierliche Beschleunigung umwandelt. Orion-Raketen wären stark genug, um über 1000 Tonnen nicht etwa nur in die Erdumlaufbahn, sondern zu einem Saturnmond und wieder zurück zu transportieren - mit einer einzigen Stufe!

Beim Aufstieg in eine niedrige Erdumlaufbahn wäre eine Nutzlast von acht Millionen Tonnen möglich.

Würde der Start von einer gepanzerten Plattform mit Graphitüberzug mitten im Pazifik erfolgen, würde der nukleare Fallout vermutlich so gering ausfallen, dass niemand Gesundheitsschäden erlitte.


Orion - a Reimagining. Hier wird das Schiff zunächst von vielen
Feststoffboostern in die obere Atmosphäre gehoben, bevor die
Atombomben gezündet werden, um den Fallout gering zu halten.
Video von Rhys Taylor.


Dennoch machen der Test Ban Treaty, der Kernexplosionen in der Atmosphäre und im Weltraum verbietet, und die weit verbreitete Furcht vor nuklearen Vorrichtungen aller Art die Konstruktion einer Orion-Rakete in näherer Zukunft zumindest außerordentlich schwierig. Das ist schade, da wir solche Schiffe mit vorhandener Technologie bauen könnten, und sie es uns ermöglichen würden, das Sonnensystem in großem Stil zu erforschen und zu industrialisieren.

Aber die Menschheit kann noch reifen. Wir stehen ja noch ganz am Anfang...


Weblinks:

J. C. Newby: The History and Mathematics of Rockets

Multistage Rockets auf Winchell Chungs "Atomic Rockets"

Freitag, 22. Juli 2011

Temperaturen im Weltraum

Ah, Kirk, my old friend, do you know the old Klingon proverb that tells us revenge is a dish that is best served cold? It is very cold in space.

-- Khan Noonien Singh, Star Trek II: The Wrath of Khan


Hat Khan recht?

Wir stellen uns den Weltraum meist klirrend kalt vor. Man spricht vom "kalten Licht" der Sterne oder des Mondes, und in den meisten Science-Fiction-Filmen verwandelt sich ein Astronaut, der unglücklicherweise ohne Raumanzug ins Vakuum geschleudert wurde, sofort in einen menschlichen Eiszapfen. Stimmt das aber? Welche Temperatur herrscht im Weltraum?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns zunächst klarmachen, was Temperatur überhaupt ist. Wir können einen heißen von einem kalten Körper durch Anfassen unterscheiden, aber was bedeutet das physikalisch? Die Temperatur ist ein Maß für die Geschwindigkeit, mit der sich die Teilchen, aus denen ein makroskopischer Körper zusammengesetzt ist, bewegen - hierbei ist aber nicht geordnete Bewegung des ganzen Körpers in eine bestimmte Richtung gemeint, sondern zufällige, statistisch verteilte, mikroskopische Vibrationen der Atome oder Moleküle. Die Temperatur entspricht der durchschnittlichen Geschwindigkeit der Vibrationen.

Bei einem idealen Gas (bei dem man zur Vereinfachung annimmt, dass die Teilchen keine Ausdehnung und innere Struktur besitzen und elastisch voneinander abprallen), berechnet sich die Temperatur T aus der mittleren kinetischen Energie <Ekin> nach der Formel:

<Ekin> = (3/2) kB T,

wobei kB=1.38 * 10^-23 J/K die Boltzmann-Konstante ist. Mit der Formel für die kinetische Energie Ekin = (1/2) m v^2 (m ist die Teilchenmasse) ergibt sich für die Abhängigkeit von der quadratisch gemittelten Teilchengeschwindigkeit <v^2>:

(1/2) m <v^2> = (3/2) kB T

bzw.

<v^2> = 3 kB T / m.

Unter der quadratisch gemittelten Geschwindigkeit versteht man <v^2> = (v1^2 + v2^2 + ... + vN^2)/N, mit der Teilchenzahl N und den einzelnen Teilchengeschwindigkeiten v1, v2, usw.

Die Temperatur wird in der absoluten, physikalischen Einheit Kelvin (Formelzeichen K) gemessen. Sie besitzt die gleiche Schrittweite wie die in Europa gebräuchliche Celsius-Skala, beginnt aber am absoluten Nullpunkt T = 0 K ~ -273.15 Grad Celsius. Der absolute Nullpunkt kann nicht erreicht werden - es ist nur möglich, ein System beliebig nahe an ihn herunterzukühlen.

Im Gegensatz zu den anderen Temperaturskalen wird der Einheit Kelvin kein "Grad" vorangestellt.

Versuchen wir mal abzuschätzen, wie schnell sich die Luftmoleküle bei Zimmertemperatur bewegen. Die Temperatur liegt vielleicht bei 20 Grad Celsius = 293.15 K, die Stickstoffmoleküle N2 haben eine Masse von m = 4.6 * 10^-26 kg. Es ergibt sich <v^2> = 263 835 m^2 / s^2. Die Moleküle bewegen sich also im Durchschnitt mit SQRT(<v^2>) = 514 m/s (SQRT steht hier für die Quadratwurzel). Das ist immerhin schneller als eine Revolverkugel! Diese erreichen nur maximal ca. 400 m/s. Ein Glück, dass die Moleküle so klein sind.

Die physikalische Eigenschaft "Temperatur" macht nur Sinn, wenn man sie auf große Teilchenmengen (makroskopische Körper oder Stoffportionen) bezieht. Ein einzelnes Atom hat keine Temperatur, ihm eine zuzuordnen ist in etwa so sinnvoll wie vom Bruttosozialprodukt einer Einzelperson zu sprechen. Übrigens braucht es sich nicht um Materieteilchen zu handeln. Auch einem Photonengas (einem Strahlungsfeld) kann man eine Temperatur zuordnen.

Könnte man einen völlig leeren Raum erzeugen, so wäre dessen Temperatur undefiniert: Es befänden sich ja keine Teilchen darin, die irgendeine Energie haben könnten! In der Natur existiert ein solcher Raum nicht. Selbst wenn es gelänge, aus einem Volumen sämtliche Moleküle zu entfernen, würden die Behälterwände immer noch Wärmestrahlung abgeben.

Wie sieht es nun im Weltraum aus? Beginnen wir weit draußen, zwischen den Galaxien. Hier ist kaum herkömmliche Materie vorhanden. Lediglich im Inneren größerer Galaxienhaufen findet sich ein sehr dünnes, heißes (mehrere zehn Millionen K) Wasserstoff- und Heliumgas. Obwohl nur rund 1000 Ionen pro Kubikmeter vorhanden sind, enthält das Gas über 80% der herkömmlichen Masse (d.h. der sichtbaren im Gegensatz zur Dunkelmaterie) des Haufens. Aufgeheizt wurde es ursprünglich bei der Entstehung des Haufens, bei der potentielle in thermische Energie umgewandelt wurde. Später sorgten die zentralen Schwarzen Löcher der Galaxien dafür, dass es nicht auskühlte. Sie erzeugen scharf gebündelte Materiejets aus Gas, das auf sie zuströmt, aber geradeeben verfehlt, so dass es nicht absorbiert sondern wieder fortgeschleudert wird. Die Jets bringen neue Energie in das diffuse Gas zwischen den Galaxien ein und heizen es auf.

Von der Erde aus kann man das Gas in den Haufen, das man auch Intracluster-Medium nennt, mit Röntgensatelliten beobachten.


Der Galaxienhaufen Abell 2199 im Röntgenlicht (links)
und im sichtbaren (rechts). Das diffuse Intracluster-Medium
ist deutlich zu erkennen.


Außerhalb von Haufen ist wahrscheinlich so gut wie überhaupt kein Gas vorhanden. Noch nicht einmal die Dunkle Materie, deren Zusammensetzung noch nicht bekannt ist, und die die Galaxienhaufen durch ihre Schwerkraft zusammenhält, existiert hier. Nur das allgegenwärtige Mikrowellen-Strahlungsfeld, ein Überbleibsel aus der heißen Anfangsphase des Kosmos, durchdringt den Raum. Es hat eine Temperatur von 2.73 K.

Tauchen wir nun in eine der Galaxien hinein. Wir wählen eine Spiralgalaxie (z. Bsp. unsere eigene), die viel Gas enthält, im Gegensatz zu den gasarmen elliptischen Galaxien. Spiralen verfügen über eine gas- und staubreiche Scheibe, eine zentrale, runde Sternwolke, die man Bulge nennt und einen gasarmen Halo aus alten Sternen und Kugelsternhaufen außen um das ganze Gebilde herum.


Struktur einer typischen Spiralgalaxis.
Das meiste Gas befindet sich in der Scheibe (Disk).


Das Gas in der Scheibe liegt vorwiegend in Form neutraler Atome vor, man nennt es daher "atomaren Wasserstoff", obwohl es natürlich auch Helium und seltenere schwerere Elemente enthält. Es hat eine Temperatur von rund 10 000 K und seine Dichte liegt bei 10^6 Teilchen pro Kubikmeter (zum Vergleich: Auf Meereshöhe liegt die Teilchendichte der irdischen Luft bei über 10^25 pro Kubikmeter). Darin eingebettet findet man kühlere atomare Gaswolken, die sog. HI-Regionen. Sie haben eine Temperatur von nur 100 K und eine Dichte von 10^8 m^-3.

Atomaren, neutralen Wasserstoff kann man im Radiospektrum bei einer Wellenlänge von 21 cm beobachten. Diese Strahlung entsteht, wenn sich der Spin (der quantenmechanische Drehimpuls) des Elektrons im Wasserstoffatom umkehrt - ist er parallel zum Kernspin ausgerichtet, ist die Energie des Elektrons etwas höher als wenn die Spins entgegengesetzt sind. Diese Differenz wird bei 21 cm abgestrahlt.

Die Gesamtmasse des neutralen Wasserstoffs in der Galaxis liegt bei 5 Milliarden Sonnenmassen - einige Prozent der Masse aller Sterne.


Komplettansicht des Himmels bei 21 cm Wellenlänge (rot = hohe
Intensität, blau = niedrige Intensität).
Die galaktische Scheibenebene liegt in der Mitte. Man sieht deutlich,
dass der atomare Wasserstoff hier besonders konzentriert ist.

Unter bestimmten Bedingungen kann die Gravitation den atomaren Wasserstoff lokal zusammenziehen. Hierzu muss das Gas erst durch externe Einwirkungen vorkomprimiert werden, da ein schwaches Magnetfeld es stabilisiert. Schockwellen von Supernovae und die wandernden Dichtewellen in den Spiralarmen kommen hierfür in Frage. Ist der Gravitationskollaps in Gang gekommen, kühlt das Gas immer weiter aus, da es umso effizienter Energie abstrahlt, je dichter es wird. Schließlich verbinden sich die Atome zu molekularem Wasserstoff (H2). Die Molekülwolken sind die kältesten und dichtesten Orte im interstellaren Medium, ihre Temperatur liegt bei einigen zehn K und die Dichte zwischen 3*10^8 und 10^10 Teilchen pro Kubikmeter. Sie sind die Produktionsstätte der Galaxis für neue Sterne. Das molekulare Gas zieht sich immer weiter zusammen, bis es zu einem oder mehreren Sternen kondensiert, die wahrscheinlich fast immer von einem Planetensystem umgeben sind. Die Strahlung der neuen Sterne beginnt dann die Molekülwolke abzutragen: Die energiereichen Photonen spalten die Moleküle und ionisieren die Atome.


Die "Pillars of Creation" - eines der berühmtesten Hubble-Bilder.
Die Säulen sind Reste einer Molekülwolke, die langsam
von der Strahlung junger Sterne erodiert werden.


Molekularen Wasserstoff kann man nicht direkt beobachten. Man benutzt daher die Radiostrahlung des Kohlenmonoxids als "Tracer", um die Struktur der Molekülwolken aufzudecken.

Materie bleibt nicht ewig in Sternen gebunden. Von ihrer Oberfläche strömt ein ionisierter Sternwind mit mehreren hundert Kilometern pro Sekunde ab, der bis zu einer Million Kelvin heiß sein kann. Aufgeheizt und beschleunigt wird er vermutlich von Magnetfeldern, die sich im Inneren der Sterne bilden und an der Oberfläche heraustreten. Die Dichte der Sternwinde liegt bei 10^7 Ionen pro Kubikmeter.

Bei gealterten Sternen verstärkt sich der Materieausstoß außerordentlich. Massearme Sterne wie unsere Sonne werfen ihre äußeren Schichten allmählich ab, wodurch sich ein sogenannter planetarischer Nebel bildet. Massereiche (ab ca. 8 Sonnenmassen) werden von einer Supernova explosiv zerrissen, wodurch eine riesige Blase aus heißem und dünnem Gas entsteht: Rund eine Million K, bzw. 10^4 Teilchen pro Kubikmeter. Manchmal explodieren mehrere Sterne nebeneinander, was eine Superblase erzeugt, die wie ein kosmischer Vulkanausbruch aus der galaktischen Scheibe herausschießen und Gas bis in den Halo schleudern kann.


Eine Superblase in der Großen Magellanschen Wolke
(eine kleine Begleitgalaxie unserer Milchstrasse).
Hier haben Supernovaexplosionen einen Hohlraum
von 250 Lichtjahren Durchmesser in das interstellare Gas
gesprengt.

In jedem Fall geben die Sterne einen großen Teil ihrer Materie an das interstellare Medium zurück - angereichert mit schwereren, durch Fusionsprozesse im Sterninneren erzeugten Elementen. Diese neue Materie steht wiederum zur Sternbildung zur Verfügung.

Ewig kann dieser Kreislauf jedoch nicht weiterlaufen: Eine gewisse Menge an Materie bleibt in Sternüberresten - weißen Zwergen, Neutronensternen und Schwarzen Löchern - gebunden. Auch Planeten und Braune Zwerge (Zwischenformen zwischen Stern und Planet) binden Materie für immer. Daher wird die Galaxis in über 50 Milliarden Jahren gasfrei sein und keine neuen Sterne mehr bilden.

Was passiert nun aber mit einem großen Körper - z. Bsp. einem Astronauten - der sich im freien Weltraum aufhält? Wird er die Temperatur des umgebenden Gases annehmen? Nein, denn die Gasdichten sind viel zu gering, als dass die Moleküle in nennenswertem Maß Energie auf ihn übertragen könnten. Die besten auf der Erde herstellbaren Ultrahochvakua sind mehr als tausend Mal dichter als die dichtesten Molekülwolkenkerne!

Die Temperatur eines makroskopischen Objekts im Weltraum hängt fast ausschließlich von der auf es fallenden elektromagnetischen Strahlung ab: Nicht das umgebende dünne Gas, sondern die Strahlung aller Himmelskörper in der Nähe - Sterne, Planeten, Galaxien, etc. - bestimmen, welche Temperatur es annimmt. Jeder Körper emittiert, absorbiert und reflektiert einen bestimmten Anteil der auf ihn fallenden Photonen. Die Absorption heizt ihn auf, die Emission kühlt ihn und die reflektierte Strahlung beeinflusst ihn thermisch nicht. Je nachdem, wo das Gleichgewicht dieser Prozesse liegt, stellt sich eine bestimmte Temperatur ein.

Etwas vereinfachend kann man sagen, dass Körper vorwiegend im sichtbaren Spektrum Energie aufnehmen und im Infraroten abstrahlen. Die absorbierte Leistung pro Fläche berechnet sich zu:

Qabs = Qs * as

wobei Qs der einfallende Strahlungsstrom im sichtbaren Spektralbereich und as die entsprechende Absorptivität ist. In unserem Sonnensystem beträgt der von der Sonne verursachte Strahlungsstrom Qs = 1358 (r/1 AU)^(-2) W m^-2 wobei r der Abstand von der Sonne und 1 AU der Erdbahnradius (149.6 Mio km) ist. Die Absorptivität as ist eine reine Zahl zwischen 0 und 1 die das Verhältnis von absorbierter Strahlung zur einfallenden angibt (as = 0 - keine Strahlung wird absorbiert, as = 1 - alle Strahlung wird absorbiert).

Die abgestrahlte Leistung pro Fläche beträgt:

Qem = eir * sigma * T^4

mit der Infrarot-Emissivität eir, der Stefan-Boltzmann-Konstante sigma = 5.67 * 10^-8 W m^-2 K^-4 und der Temperatur (in Kelvin) T. Auch die IR-Emissivität ist eine reine Zahl, die das Verhältnis der abgestrahlten Leistung zu der, die ein perfekter Emitter (ein sogenannter Schwarzer Körper) aussenden würde, angibt.

Schwarze Körper sind dadurch definiert, dass sie alle einfallenden Photonen absorbieren und bei allen Wellenlängen die maximal mögliche Leistung emittieren. Man kann sie in guter Näherung herstellen, indem man in einen beliebigen Körper eine kleine Öffnung bohrt, hinter der sich ein großer Hohlraum befindet. Die Öffnung verhält sich dann wie ein Schwarzer Strahler, da jedes Photon, das in sie hineinfällt, in dem Hohlraum so lange hin und her reflektiert wird bis seine gesamte Energie absorbiert wurde. Auch die Sonne kommt einem Schwarzen Strahler ziemlich nahe, da die ionisierten Gase sehr gut darin sind, Licht zu absorbieren. Aufgrund der hohen Temperatur sieht dieser Schwarze Strahler natürlich keineswegs schwarz aus.

Im Gleichgewicht muss nun gelten:

Qabs = Qem

Das lässt sich nach T auflösen:

T = [Qs * as  /  eir * sigma]^1/4

Die Temperatur wird also sowohl von der einfallenden Strahlungsleistung Qs wie von den Materialeigenschaften as und eir bestimmt.

Für Aluminium gilt beispielsweise as = 0.2 und eir = 0.03. Das ergibt bei Qs = 1358 W m^-2 (Erdbahn) T = 632 K bzw. 359 Grad Celsius. Ein in den erdnahen Weltraum gebrachter Aluminiumwürfel würde sich wohl die Freiheit heraus nehmen, Khan zu widersprechen!

Malt man den Aluminiumwürfel allerdings mit schwarzer Farbe an, so steigt seine Absorptivität auf as = 0.975 und die IR-Emissivität auf eir = 0.874. Damit wird T = 404 K bzw. 131 Grad Celsius. Dies entspricht der Tagtemperatur der Mondoberfläche. Nachts sinkt die Temperatur auf dem Mond jedoch auf -160 Grad Celsius, da das Mondgestein dann seinen Wärmeinhalt abstrahlt, ohne dass die Sonne Energie nachliefert. Die relativ ausgeglichenen Tag- und Nachttemperaturen auf der Erde verdanken wir der Atmosphäre, die als Wärmespeicher wirkt.

Man sieht also, dass die Aussage "im All ist es kalt" genausowenig sinnvoll ist wie die Aussage "es ist warm auf der Erde". Für die Bahamas mag letzteres zutreffen, für die Antarktis nicht so sehr. Welche Temperatur im Weltraum herrscht, hängt davon ab, wo man sich befindet, und welche Substanzen man betrachtet.

Es existieren auch noch weitere, "exotischere" Temperaturen, z. Bsp. die der Neutrinos, sehr massearmer Elementarteilchen, die den Kosmos in sehr großer Zahl ausfüllen aber kaum bemerkbar sind, da sie mit gewöhnlicher Materie nur extrem schwach wechselwirken. Die Neutrinotemperatur liegt bei Tneu = 1.95 K. Welche Temperatur die Dunkle Materie haben könnte ist noch nicht bekannt, da wir über ihre Natur noch kaum etwas wissen. Manche Physiker nehmen auch an, dass sie nicht existiert, und die durch sie hervorgerufenen Gravitationseffekte in Wirklichkeit auf Abweichungen von der Newton'schen Gravitation bei sehr kleinen Beschleunigungen beruhen.

Doch das ist eine andere Geschichte...

Montag, 4. Juli 2011

Braucht das BGE eine Bildungsoffensive?

Beim Piratenstammtisch am vergangenen Freitag kam die Sprache auf das BGE. Ein Pirat, der als Erzieher in einem Heim für Kinder und Jugendliche arbeitet, stand der Idee sehr skeptisch gegenüber. Er vermutete, seine Jugendlichen würden, wenn sie ein BGE bekämen, dieses ausschließlich für Drogen ausgeben und keinerlei Arbeitsmotivation zeigen. Er fügte auch hinzu, dass er, wenn er ein Grundeinkommen hätte, seinen Job an den Nagel hängen und sich ganz seinen Hobbys widmen würde.

Mit letzterem befindet er sich offensichtlich in der Minderheit: Zumindest Umfragen zufolge würden über 60% der Deutschen nach BGE-Einführung weiterarbeiten. Der erste Einwand stimmt jedoch nachdenklich. Der größte Skeptizismus gegenüber dem BGE ist oft bei Erziehern und Sozialarbeitern zu finden - kurz gesagt bei Menschen, die beruflich mit Jugendlichen aus dem Prekariat zu tun haben. Die Einwände laufen im wesentlichen darauf hinaus, dass diese Jugendlichen von alleine keinerlei Motivation zeigten, irgendetwas sinnvolles anzustellen, und die Einführung des BGE sie dazu verleiten würde, den Rest ihres Lebens zwischen Fernseher, Spielkonsole und einem mit Spirituosen gefüllten Kühlschrank zu verbringen.

Ich persönlich habe beruflich nichts mit "prekären" Jugendlichen oder Erwachsenen zu tun und muss diese Aussage daher von denen, die mit ihnen zu tun haben, erstmal einfach so übernehmen. Manche werden einwenden, dass das momentane Sozialsystem zu großem Teil an der "Lebensdemotivation" der Unterschicht schuld sei, und ein BGE dagegen eher motivierend wirken würde. Wenn dies so wäre, würde sich das Problem von selbst lösen. Stellen wir uns aber mal auf den vorsichtigen Standpunkt, dass die diversen Sozialarbeiter, Familienhelfer, Erzieher, etc. recht haben und ein gewisser Teil der Bevölkerung das Grundeinkommen als Chance zum Nichtstun und massenhaftem Drogenkonsum wahrnehmen würde. Wie ließe sich dem entgegenwirken?

Bei der Diskussion am letzten Freitag warf unser Bundesvorstand ein, dass das BGE nur eine vergleichsweise "kleine" gesellschaftliche Maßnahme, die sich im Grunde als konsequente Fortsetzung des sozialdemokratischen Programms ergebe, und keinesfalls ein Allheilmittel sei. Zur Lösung vieler sozialer Probleme seien eigene Lösungsansätze notwendig. Wie "klein" oder "groß" die mit dem BGE verbundene Änderung wäre, ist diskutierbar - meiner Meinung nach eher groß - dass es kein Allheilmittel ist und viele der in unserer Gesellschaft existierenden Probleme eigene Lösungen erfordern, dem werden die meisten jedoch zustimmen.

Wie ich schon in einem früheren Artikel sagte, ist der Staat meiner Auffassung nach keine Erziehungsanstalt. Es ist nicht die Aufgabe der Regierung, charakterformend zu wirken. Er sollte jedoch helfen, die Gesellschaft so zu strukturieren, dass die Menschen möglichst viel vom Leben haben. Leute, die ausschließlich das Bedürfnis haben, fernzusehen, Alkohol zu trinken und Videospiele zu spielen, haben fraglos ein ziemlich leeres Dasein. Hier sollte man also gesellschaftlich eingreifen.

Wie könnte das gehen? Durch Therapie? Die funktioniert nur, wenn der Patient sie selbst wünscht. Durch Familienhilfe? Die ist ím benötigten Umfang kaum durchführbar, und setzt ebenfalls einen schon vorhandenen Willen, sich helfen zu lassen, voraus. Der einzige Punkt, an dem man sinnvoll angreifen kann, dürfte daher das Bildungssystem sein.

Ich bin weit davon entfernt, Pädagogikexperte zu sein (genaugenommen beschränkt sich meine diesbezügliche Erfahrung auf Nachhilfestunden für Schüler). Aus dem Bauch heraus würde ich jedoch sagen, dass die Schulen neben (der natürlich auch nötigen) Wissensvermittlung vor allem die Neugierde der Schüler wecken sollten - Neugierde auf die ganze Welt.

Man findet überall etwas, was faszinierend ist.

Geradeeben habe ich zum Beispiel vor dem Eingang des Uni-Rechenzentrums einen vom Regen feuchten Rosenstrauch gesehen. So eine Pflanze wirft zahllose Fragen auf.

Warum bedeckt das Wasser die Blätter nicht gleichmäßig, sondern bildet runde Tropfen?

Warum gibt es gelbe, rote, weiße und rosafarbene Rosen, aber keine blauen?

Warum wird die rote Rose in der westeuropäischen Kultur als Symbol der Liebe angesehen?

Rosen haben Dornen zur Verteidigung. Wie verteidigen sich andere Pflanzen gegen Fressfeinde?

Wann und zu welchem Zweck wurde die Rose zum ersten Mal kultiviert?




Wenn man etwas näher hinsieht, begegnet man auf Schritt und Tritt interessanten Fragen. An jedem Stein und jedem Tier hängt ein ganzes Universum von Fragen. Manche davon wurden schon wissenschaftlich beantwortet - das Wasser bildet beispielsweise runde Tropfen wegen der Oberflächenspannung, die durch elektrische Anziehungskräfte zwischen den Wassermolekülen entsteht. Aber an jeder Antwort hängen neue Fragen: Wie entstehen elektrische Anziehungskräfte? Wo spielen sie überall in der Natur eine Rolle? Warum gibt es genau zwei elektrische Ladungen (positiv und negativ), während die Schwerkraft anscheinend nur eine kennt (die Masse)?

Man sollte Schüler mal dazu animieren, sich solche Fragen zu stellen, und auch nach Antworten zu suchen. Als ich vor Zeiten als Schüler eine Klassenfahrt nach Berlin machte, besuchten wir dort verschiedene Museen - u. a. das deutsche Technikmuseum, das Pergamonmuseum und ein Planetarium. Die meisten Schüler fanden dies sehr langweilig. Irgendetwas scheint hier nicht zu stimmen. An Technik, Kulturgeschichte und Astronomie ist nichts langweiliges!

Ich denke, die Schulen sollten neben reiner Wissensvermittlung auch "Neugierdevermittlung" betreiben. Menschen sollten mit offenen Augen durch die Welt laufen, und nicht halb schlafend. Auch müsste man die Schüler dazu animieren, wieder mehr zu lesen. Der eingangs erwähnte Kinderheimerzieher erzählte, dass so gut wie keiner der von ihm betreuten Jugendlichen je ein Buch in die Hand nähme. Anstatt bis zum Abwinken lineare und dialektische Erörterungen zu üben, könnte man im Deutschunterricht jedes Schuljahr mehrere Bücher lesen (und zwar wirklich die Bücher und nicht etwa die Zusammenfassung auf Wikipedia). Auch im digitalen Zeitalter bleibt das Buch der wichtigste Kultur- und Informationsträger. Optimal wäre es, wenn die Schüler das Lesen irgendwann nicht mehr als lästige, von der Schule aufgesetzte Pflicht ansähen, sondern anfingen, aus Neugierde und Interesse Bücher zu lesen.

Schlagen wir den Bogen zum BGE zurück. Viele werden mir vielleicht unterstellen, ein übertrieben positives Menschenbild zu haben. Ich bin mir aber sicher, dass wissbegierige, geistig wache Menschen sich mit oder ohne BGE nicht passiv vor den Fernseher setzen werden. Wenn man sich für die Welt interessiert, liebt man sie auch. Und wenn man sie liebt, will man an ihr teilhaben - praktisch oder akademisch, sozial oder künstlerisch (oder alles auf einmal). Und man kann nicht an der Welt teilhaben, indem man zuhause vor sich hin vegetiert und Bier trinkt.

Das BGE braucht eine Bildungsoffensive.


...oder hätte Galileo vielleicht aufgehört, den Himmel
zu beobachten, wenn er ein BGE gehabt hätte?