Montag, 4. Juli 2011

Braucht das BGE eine Bildungsoffensive?

Beim Piratenstammtisch am vergangenen Freitag kam die Sprache auf das BGE. Ein Pirat, der als Erzieher in einem Heim für Kinder und Jugendliche arbeitet, stand der Idee sehr skeptisch gegenüber. Er vermutete, seine Jugendlichen würden, wenn sie ein BGE bekämen, dieses ausschließlich für Drogen ausgeben und keinerlei Arbeitsmotivation zeigen. Er fügte auch hinzu, dass er, wenn er ein Grundeinkommen hätte, seinen Job an den Nagel hängen und sich ganz seinen Hobbys widmen würde.

Mit letzterem befindet er sich offensichtlich in der Minderheit: Zumindest Umfragen zufolge würden über 60% der Deutschen nach BGE-Einführung weiterarbeiten. Der erste Einwand stimmt jedoch nachdenklich. Der größte Skeptizismus gegenüber dem BGE ist oft bei Erziehern und Sozialarbeitern zu finden - kurz gesagt bei Menschen, die beruflich mit Jugendlichen aus dem Prekariat zu tun haben. Die Einwände laufen im wesentlichen darauf hinaus, dass diese Jugendlichen von alleine keinerlei Motivation zeigten, irgendetwas sinnvolles anzustellen, und die Einführung des BGE sie dazu verleiten würde, den Rest ihres Lebens zwischen Fernseher, Spielkonsole und einem mit Spirituosen gefüllten Kühlschrank zu verbringen.

Ich persönlich habe beruflich nichts mit "prekären" Jugendlichen oder Erwachsenen zu tun und muss diese Aussage daher von denen, die mit ihnen zu tun haben, erstmal einfach so übernehmen. Manche werden einwenden, dass das momentane Sozialsystem zu großem Teil an der "Lebensdemotivation" der Unterschicht schuld sei, und ein BGE dagegen eher motivierend wirken würde. Wenn dies so wäre, würde sich das Problem von selbst lösen. Stellen wir uns aber mal auf den vorsichtigen Standpunkt, dass die diversen Sozialarbeiter, Familienhelfer, Erzieher, etc. recht haben und ein gewisser Teil der Bevölkerung das Grundeinkommen als Chance zum Nichtstun und massenhaftem Drogenkonsum wahrnehmen würde. Wie ließe sich dem entgegenwirken?

Bei der Diskussion am letzten Freitag warf unser Bundesvorstand ein, dass das BGE nur eine vergleichsweise "kleine" gesellschaftliche Maßnahme, die sich im Grunde als konsequente Fortsetzung des sozialdemokratischen Programms ergebe, und keinesfalls ein Allheilmittel sei. Zur Lösung vieler sozialer Probleme seien eigene Lösungsansätze notwendig. Wie "klein" oder "groß" die mit dem BGE verbundene Änderung wäre, ist diskutierbar - meiner Meinung nach eher groß - dass es kein Allheilmittel ist und viele der in unserer Gesellschaft existierenden Probleme eigene Lösungen erfordern, dem werden die meisten jedoch zustimmen.

Wie ich schon in einem früheren Artikel sagte, ist der Staat meiner Auffassung nach keine Erziehungsanstalt. Es ist nicht die Aufgabe der Regierung, charakterformend zu wirken. Er sollte jedoch helfen, die Gesellschaft so zu strukturieren, dass die Menschen möglichst viel vom Leben haben. Leute, die ausschließlich das Bedürfnis haben, fernzusehen, Alkohol zu trinken und Videospiele zu spielen, haben fraglos ein ziemlich leeres Dasein. Hier sollte man also gesellschaftlich eingreifen.

Wie könnte das gehen? Durch Therapie? Die funktioniert nur, wenn der Patient sie selbst wünscht. Durch Familienhilfe? Die ist ím benötigten Umfang kaum durchführbar, und setzt ebenfalls einen schon vorhandenen Willen, sich helfen zu lassen, voraus. Der einzige Punkt, an dem man sinnvoll angreifen kann, dürfte daher das Bildungssystem sein.

Ich bin weit davon entfernt, Pädagogikexperte zu sein (genaugenommen beschränkt sich meine diesbezügliche Erfahrung auf Nachhilfestunden für Schüler). Aus dem Bauch heraus würde ich jedoch sagen, dass die Schulen neben (der natürlich auch nötigen) Wissensvermittlung vor allem die Neugierde der Schüler wecken sollten - Neugierde auf die ganze Welt.

Man findet überall etwas, was faszinierend ist.

Geradeeben habe ich zum Beispiel vor dem Eingang des Uni-Rechenzentrums einen vom Regen feuchten Rosenstrauch gesehen. So eine Pflanze wirft zahllose Fragen auf.

Warum bedeckt das Wasser die Blätter nicht gleichmäßig, sondern bildet runde Tropfen?

Warum gibt es gelbe, rote, weiße und rosafarbene Rosen, aber keine blauen?

Warum wird die rote Rose in der westeuropäischen Kultur als Symbol der Liebe angesehen?

Rosen haben Dornen zur Verteidigung. Wie verteidigen sich andere Pflanzen gegen Fressfeinde?

Wann und zu welchem Zweck wurde die Rose zum ersten Mal kultiviert?




Wenn man etwas näher hinsieht, begegnet man auf Schritt und Tritt interessanten Fragen. An jedem Stein und jedem Tier hängt ein ganzes Universum von Fragen. Manche davon wurden schon wissenschaftlich beantwortet - das Wasser bildet beispielsweise runde Tropfen wegen der Oberflächenspannung, die durch elektrische Anziehungskräfte zwischen den Wassermolekülen entsteht. Aber an jeder Antwort hängen neue Fragen: Wie entstehen elektrische Anziehungskräfte? Wo spielen sie überall in der Natur eine Rolle? Warum gibt es genau zwei elektrische Ladungen (positiv und negativ), während die Schwerkraft anscheinend nur eine kennt (die Masse)?

Man sollte Schüler mal dazu animieren, sich solche Fragen zu stellen, und auch nach Antworten zu suchen. Als ich vor Zeiten als Schüler eine Klassenfahrt nach Berlin machte, besuchten wir dort verschiedene Museen - u. a. das deutsche Technikmuseum, das Pergamonmuseum und ein Planetarium. Die meisten Schüler fanden dies sehr langweilig. Irgendetwas scheint hier nicht zu stimmen. An Technik, Kulturgeschichte und Astronomie ist nichts langweiliges!

Ich denke, die Schulen sollten neben reiner Wissensvermittlung auch "Neugierdevermittlung" betreiben. Menschen sollten mit offenen Augen durch die Welt laufen, und nicht halb schlafend. Auch müsste man die Schüler dazu animieren, wieder mehr zu lesen. Der eingangs erwähnte Kinderheimerzieher erzählte, dass so gut wie keiner der von ihm betreuten Jugendlichen je ein Buch in die Hand nähme. Anstatt bis zum Abwinken lineare und dialektische Erörterungen zu üben, könnte man im Deutschunterricht jedes Schuljahr mehrere Bücher lesen (und zwar wirklich die Bücher und nicht etwa die Zusammenfassung auf Wikipedia). Auch im digitalen Zeitalter bleibt das Buch der wichtigste Kultur- und Informationsträger. Optimal wäre es, wenn die Schüler das Lesen irgendwann nicht mehr als lästige, von der Schule aufgesetzte Pflicht ansähen, sondern anfingen, aus Neugierde und Interesse Bücher zu lesen.

Schlagen wir den Bogen zum BGE zurück. Viele werden mir vielleicht unterstellen, ein übertrieben positives Menschenbild zu haben. Ich bin mir aber sicher, dass wissbegierige, geistig wache Menschen sich mit oder ohne BGE nicht passiv vor den Fernseher setzen werden. Wenn man sich für die Welt interessiert, liebt man sie auch. Und wenn man sie liebt, will man an ihr teilhaben - praktisch oder akademisch, sozial oder künstlerisch (oder alles auf einmal). Und man kann nicht an der Welt teilhaben, indem man zuhause vor sich hin vegetiert und Bier trinkt.

Das BGE braucht eine Bildungsoffensive.


...oder hätte Galileo vielleicht aufgehört, den Himmel
zu beobachten, wenn er ein BGE gehabt hätte?

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